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Fachartikel, 12.05.2006
Führung
Chancen und Risiken der systemischen Aufstellung für Führungskräfte
Wenn das Wunder auf sich warten lässt - keine Beratungsform hat jemals so schnell so viele Menschen in ihren Bann gezogen wie die Aufstellungsmethode.
Vor allem Führungskräfte sind fasziniert von der Geschwindigkeit mit der Organisationsaufstellungen ihre Personalprobleme aus der Arbeitswelt schaffen wollen. Die Leitenden müssen dazu nur ihr Ziel benennen, dann aus einem vorhandenen Publikum Stellvertreter für sich und ihre Mitarbeiter aussuchen und diese im Seminarraum positionieren. Führungsaufgaben, wie schwierige Mitarbeitergespräche, werden an die Aufstellung abgegeben und sollen auf wundersame Weise von ihr gelöst werden – ganz ohne Anstrengung der Leitenden und ohne reale Kontakte mit den „echten“ Mitarbeitern. Langwierige konfliktreiche Teamentwicklungen scheinen damit überflüssig zu werden. Die Führungskraft kann entspannt zusehen, wie sich ihr Stellvertreter auf der Bühne mit den Angriffen ihrer Mitarbeiter mühsam auseinander setzt. Der Klient wird in Aufstellungen zum Konsument, er oder sie kann sich entspannt zurück lehnen und sich seine Abteilung im Schonraum Seminar in Ordnung bringen lassen.

Die emotional belastende Situation eines Konfliktgespräches kann bequem mehr aushalten, denn sogar das Streiten kann von ihrem Repräsentanten übernommen werden. Sie steigt am Ende der Prozess- und Stellungsarbeit des Aufstellungsleiters wie Phönix aus der Asche in das Lösungsbild ein und genießt die von den Stellvertretern manchmal hart erarbeitete heile Welt. Damit unterscheidet sich die Aufstellungsmethode von allen anderen Beratungsformen, die missionarisch darauf bestehen, dass die Klienten lernen, ihre Probleme selbst zu lösen. Hier findet ein radikaler Paradigmen-Wechsel in der Beratung statt. Darin liegen die Chancen und die Risiken für die Arbeitswelt zugleich.

Aufstellungen entlasten die Führungskraft

Die Chance für das Unternehmen liegt auf der Hand. Ein Vorgesetzter, der in keinem ressourcevollen Zustand ist, bräuchte Wochen, Monate oder vielleicht sogar Jahre, um sich die Lösung für seine Personalprobleme selbst zu erarbeiten. Bei den Aufstellungen wird der eigentliche Klient geschont, denn er oder sie bekommt die Lösung wie auf dem Silbertablett serviert. Die Kehrseite der Medaille ist die konsequente Förderung der Abhängigkeit labiler Klienten von der Aufstellungsmethode. Es besteht die Gefahr, die Themen des Lebens nicht mehr selbst anzugehen, sondern sie gleich einem professionellen Aufsteller zu übergeben.

Aufstellungen und das Warten auf das Wunder

Aufstellungen enden immer mit einem mehr oder weniger wohltuenden Lösungsbild. Nachdem alle Stellvertreter gewürdigt wurden und jeder seinen Platz im System gefunden hat, entsteht leicht der Eindruck, als wäre damit alles erledigt. Diese Illusion wird noch verstärkt, da Aufstellungen in der Regel als einmalige Events ohne Nachbetreuung angeboten werden. Das bringt Klienten auf die Idee, sich wahre Wunder von einer einzigen Aufstellung zu versprechen. Und weil der Glaube bekanntlich Berge versetzt, kann diese hohe Heilserwartung durchaus vorteilhaft sein. Der Zusammenhang zwischen der Hoffnung auf Hilfe und dem Erfolg einer Intervention wurde im Jahr 2001 von M.A. Hubble u.a. sogar empirisch nachgewiesen. Unabhängig von der gewählten Therapieform ist die Wahrscheinlichkeit der Besserung umso größer, je mehr die Klienten von der Methode überzeugt sind.

Da immer mehr Menschen ihre Hoffnungen auf Aufstellungen setzen, werden sie folglich in Zukunft auch immer besser wirken und tatsächlich das eine oder andere Wunder ermöglichen.

Was aber, wenn sich nach der Aufstellung der erwartete Erfolg nicht einstellt, wie im Fall von Josef B.? Josef steuert ein Projekt, an dem zwei verschiedene Tochtergesellschaften zusammenarbeiten. Er möchte eine Aufstellung, weil das Projekt kurz vor dem Scheitern ist, was für beide Unternehmen mit gewaltigen finanziellen Verlusten verbunden wäre. Die Aufstellung zeigt, dass Josef und die Projektmitarbeiter der einen Tochtergesellschaft die Kollegen aus der anderen unterbuttern und sie schlecht behandeln. In der Aufstellung würdigt Josef alle Projektmitglieder und fährt mit leuchtenden Augen zurück in seine Firma – ohne auf die Idee zu kommen, seine Entschuldigung auch den realen Projektmitgliedern mitzuteilen. Er war der festen Überzeugung mit der Aufstellung wäre bereits alles gerichtet und verziehen. Er wunderte sich, dass ihn die bisher wenig geschätzten Kollegen nicht mit offenen Armen empfangen. Das Wunder der Aufstellung war hier leicht überfordert. Die Gefahr der Aufstellungen liegt darin, dass Führungskräfte irgendwann Konflikte lieber mit harmlosen Stellvertretern austragen, als mit ihren realen Geschäftspartnern.

Die Aufstellung hatte den Boden für eine gute Zusammenarbeit im Projekt bereitet, aber ohne seine Mitwirkung in der realen Welt, würde darauf nichts wachsen. Das Wunder der Aufstellungen liegt meist darin, dass es den Weg zeigt, aber gehen muss der Klient ihn in der Außenwelt nach wie vor selbst. Seriöse Aufsteller sollten nicht versäumen, den Klienten das klar zu machen – auch auf die Gefahr hin, dass sich ihre Methode dann nicht mehr so gut verkauft.

Es gibt Führungskräfte, die sich vor offenen Feedback-Gesprächen mit ihren Mitarbeitern drücken und stattdessen lieber alleine im stillen Kämmerlein eine Organisationsaufstellung machen. Es ist natürlich viel bequemer und einfacher sich in einer Aufstellung zu ein paar netten Worten hinreißen zu lassen, als in der Wirklichkeit einen Mitarbeiter beiseite zu nehmen und zu ihm zu sagen: „Ich habe mich dir gegenüber schlecht benommen. Es tut mir leid. Wie kann ich es wieder gut machen?“ Themen nur mit Stellvertretern zu klären, macht absolut Sinn, wenn es sich um Tote handelt oder um Menschen, die das System bereits verlassen haben – in allen anderen Fällen brauchen Wunder nach der Aufstellung das aktive Würdigen und Wertschätzen im wirklichen Leben. Führung ohne reale menschliche Kontakte ist eine Utopie und als solche zum Scheitern verurteilt.

Aufstellungen tragen Wertschätzung in die Welt

In Aufstellungen wird schnell deutlich, wer im System nicht genug gewürdigt wird. Alles was an einer Stelle fehlt, wird nachgearbeitet. Es wird nachträglich gedankt, beachtet, einbezogen und insgesamt sehr liebevoll mit den Systemmitgliedern umgegangen. Das ist vielleicht genau das, was vielen Menschen heute fehlt, vor allem im beruflichen Umfeld. Die Arbeitswelt in wirtschaftlich angespannten Zeiten ist gnadenlos: es wird entlassen, getäuscht, benützt und unter Druck gesetzt. Führungskräfte, die häufiger an Aufstellungen teilnehmen, ob als Stellvertreter oder als Klienten, werden die Notwendigkeit erkennen, mit allen fair und wertschätzend umzugehen – mit Familienmitgliedern genau so wie mit Kollegen, Kunden oder Mitarbeitern. Denn die Erfahrung zeigt, dass die alten Leichen im Keller immer wieder auftauchen und Störfelder sind für neue Beziehungen oder Ziele. Verhalten, das früher religiös motiviert war, wird in einem systemischen Modell der Welt schon aus Eigeninteresse zum Gebot. Die Verbreitung der Aufstellungsmethode führt – gesellschaftlich betrachtet – zu einer Rückbesinnung auf zentrale christliche Werte, wie beispielsweise die Nächstenliebe, die Aufrichtigkeit oder das Ehren von Vater und Mutter.


Aufstellungen gewähren den Blick hinter die Fassaden

Das Faszinierendste an den Aufstellungen ist nach wie vor das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung. Es kann zwar noch keiner erklären, woher die Stellvertreter in den Aufstellungen ihre Informationen über das reale System des Klienten beziehen, aber es funktioniert definitiv. Beispiele gibt es dafür wie Sand am Meer. Martin beispielsweise, der für den Chef eines Klienten aufgestellt wurde, stellt plötzlich fest, dass sein rechtes Bein lahmt. Später stellt sich heraus, dass der für den er stand, bei einem Unfall sein rechtes Bein verloren hatte.

Wer einmal als Stellvertreter in einer Aufstellung stand, ist danach ein anderer Mensch, weil er oder sie eine völlig neue Dimension der menschlichen Wahrnehmung erschlossen hat. Repräsentanten sind offene Gefäße für die Emotionen und Gedanken der realen Personen für die sie stehen. So wird es möglich, in kürzester Zeit die hemmenden Beziehungsmuster eines Systems zu erkennen und an Informationen zu kommen, die in der Realität nicht so offen zugänglich wären.

Das kann den Klienten weiter bringen oder ihn völlig irritieren wie im Fall von Klaus P., einem Unternehmensberater aus Köln. Klaus hat mit seinen Auftraggebern Probleme, die er nicht fassen kann. Er stellt sie auf und erfährt, dass alle seine Auftraggeber ihn für lästig und inkompetent halten und ihn eigentlich so schnell wie möglich loswerden wollen. Was soll Klaus mit dieser Information anfangen? Neue Kunden suchen, den Beruf wechseln oder sich gleich erschießen? Das Beispiel zeigt genau den Moment, wo es wichtig wird, dass ein Aufsteller auch andere Coaching-Interventionen beherrscht. Es wäre fatal, hier für Klaus ein Lösungsbild nach allen Regeln der Aufstellungskunst herbei zu dirigieren. Aufstellungen zeigen eben auch, was nicht möglich ist. Und das muss respektiert werden.

Indem wir in Aufstellungen an Informationen kommen, die uns sonst vielleicht keiner sagen würde, liegt das größte Missbrauchspotenzial der Methode in der Arbeitswelt. Einige Führungskräfte, die das Organisationsaufstellen für sich entdeckt haben, wollen damit ihre Mitarbeiter durchschauen. Für Mitarbeiter ist das sicher eine höchst gruselige Vorstellung, dass Personalentscheidungen in Zukunft durch Aufstellungen getroffen werden könnten – dass jemand vielleicht entlassen wird, weil sein Stellvertreter in der Aufstellung dem Chef offenbarte wie wenig er von ihm hält. Deshalb sollten Aufsteller bei Führungskräften das Ziel der Aufstellung sehr gut klären und prüfen, ob nicht besser eine Intervention zur Stärkung einer offenen direkten Kommunikationskultur im Unternehmen angesagt ist. Eine reale Teamentwicklung oder die Einführung eines 360-Grad-Feedbacks könnten so manches Mal mehr bewirken als eine Organisationsaufstellung hinter verschlossenen Türen.

Resümee und Ausblick

Wer einmal das Leuchten in den Gesichtern der Klienten nach einer gelungenen Aufstellung miterlebt hat, wird nie mehr die Methode an sich in Frage stellen. Die Faszination ist absolut nachvollziehbar und berechtigt. In der Aufstellungsarbeit liegen phänomenale Chancen für die Aufsteller, die Klienten, die Arbeitswelt und sogar die Menschheit an sich. Das Verfahren wird sich durchsetzen und weniger effiziente Therapie- oder Beratungsmethoden vom Markt verdrängen – weil es anders und wirkungsvoller ist, als vieles von dem was vorher da war. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg! Erstens fehlen nach wie vor einheitliche Ausbildungsstandards für Aufsteller und nach wie vor ist ungeklärt, wie man ein guter Aufsteller wird. Die Vermittlung der systemischen Regeln und die Festlegung einer möglichst langen Ausbildungsdauer wird dem Anspruch von Professionalität nicht gerecht. Zweitens müssen Aufstellungen weiter entmystifiziert werden. Aufsteller brauchen den Mut die Effekte ihrer Arbeit zu überprüfen und gerade aus dem zu lernen, was nicht geklappt hat. Denn nicht jede Aufstellung gelingt gleich gut. Und was im positiven Sinne Großes bewirken kann, ist auch in der Lage großen Schaden anzurichten. Deshalb müssen drittens die Klienten mehr geschützt werden als in jeder anderen Beratungsform. Alle Aufsteller sollten sich an einen Tisch setzen und vereinbaren, wie sie ihre Fürsorgepflichten wahrnehmen wollen und welche Rechte sie dem Klienten einräumen. Ein erster Schritt zum Klientenschutz wäre sicherlich, dass jeder Aufgestellte das Recht auf eine Nachbetreuung bekäme. Viertens müssten Aufsteller aus dem Verkehr gezogen werden, die sich für Gott halten und ihren Klienten durch ihre Überheblichkeit nachweislich mehr schaden als nützen. Auch Aufsteller brauchen Supervision und Kontrolle. Und fünftens sollten Aufsteller mit ihrer Methode vor allem in der Arbeitswelt sehr verantwortungsbewusst umgehen, denn die Gefahren des Missbrauchs einer Aufstellung sind in betrieblichen Organisationen deutlich größer als in Familien.
ZUM AUTOR
Über Manuela Dollinger
Competence on Top
Manuela Dollinger ist Diplom-Kauffrau, Trainerin, Coach und Personalentwicklerin und seit 2002 Inhaberin von Competence on Top. Ihr Schwerpunkt liegt in den Bereichen Personal, Arbeits- und Organisations-Psychologie. Zudem ist Manuela Dollinger ...
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