Die deutsche Lohnpolitik gerät immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Mancher aus- und inländische Politiker meint, die Lohnzurückhaltung führe letztlich dazu, dass deutsche Unternehmen mit zu billigen Exporten die ausländische Konkurrenz auf den internationalen Märkten verdrängen würden. Die hiesige Lohnpolitik sei demzufolge für die Außenhandelsdefizite vieler Länder mitverantwortlich. Zudem lähme das geringe Lohnwachstum hierzulande die private Konsumnachfrage und schmälere so die Absatzchancen ausländischer Anbieter auf dem deutschen Markt.
Tatsächlich hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands seit dem Jahr 2000 fast stetig verbessert. Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten stiegen seither pro Jahr um rund 0,2 Prozent, während sie in den anderen Euroländern im Schnitt um 1,7 Prozent zulegten.
Eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit muss aber nicht zwangsläufig mit einer schwachen Konsumnachfrage einhergehen. Diese wird nämlich nicht allein durch die direkte Lohnentwicklung, sondern auch mittelbar durch zwei weitere Faktoren beeinflusst:
1. Hoher Anteil an Industriebeschäftigten
In Deutschland arbeitet laut Arbeitskräfteerhebung jeder dritte Beschäftigte in der Industrie. Der Anteil ist damit um das 1,2-fache höher als in Frankreich und sogar um das 1,8-fache höher als im Vereinigten Königreich. Und Industriearbeitsplätze werden hierzulande gut bezahlt:
Im Durchschnitt liegt der Bruttojahresverdienst eines Vollzeitbeschäftigten in der Industrie um 6 Prozent höher als im Dienstleistungssektor.
Weil der Anteil der Vollzeitbeschäftigten in der Industrie zudem höher ist als im Dienstleistungssektor und Vollzeitbeschäftigte im Schnitt je Stunde mehr verdienen als Teilzeitbeschäftigte, vergrößert sich diese Differenz auf bis zu 25 Prozent.
Ein hoher Industriebeschäftigtenanteil stabilisiert mithin die Konsumnachfrage. Ein Blick auf die Lohndynamik der vergangenen zehn Jahre bestätigt dies: Die Bruttostundenlöhne stiegen im Produzierenden Gewerbe um gut 26 Prozent, in den Dienstleistungsbereichen aber nur um 18 Prozent.
2. Beschäftigungsdynamik
Lohnzurückhaltung führt zu mehr Jobs. Mehr Jobs aber beflügeln den Konsum stärker als Lohnzuwächse. Eine Erhöhung des Reallohns um 1 Prozent hebt den privaten Konsum um 0,21 bis 0,31 Prozent an; eine Erhöhung der Beschäftigung um 1 Prozent steigert den Konsum dagegen um 0,35 bis 0,53 Prozent.
Statt über eine expansivere Lohnpolitik die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu gefährden und Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen, sollten die Tarifpartner alles dafür tun, die Beschäftigung zu sichern bzw. die Weichen für ein weiteres Jobwachstum zu stellen. Davon profitiert auch das Ausland – weil Deutschland mehr importiert.
*) Hagen Lesch: "Lohnpolitik im Spannungsfeld außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte und volatiler Konjunktur" - aus IW Trends 1/2012; Download als PDF-Dokument
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