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Fachartikel, 29.01.2008
Interview
Kampf den Kostenfressern in der Logistik
Immer noch würden zu viele Betriebe allein an die Optimierung ihrer Produktion und nicht an die Schnittstellen zu Lieferanten und Kunden denken, und dadurch viel Geld verschenken, sagt Dr. Harald Balzer, Vorstandsvorsitzender der Concept AG, die sich auf die Optimierung von Logistik- und Produktionsprozessen spezialisiert hat. Lesen Sie hierzu ein Interview mit der Fachzeitschrift „Industrieanzeiger“.
Herr Balzer, Sie behaupten, dass die meisten Unternehmen ihre Logistikkosten falsch berechnen und dadurch viel Geld verlieren. Ist das wirklich so dramatisch?

Balzer: Nach unseren Erkenntnissen tauchen etwa 15 bis 20 Prozent der Kosten für die Logistik nicht in den Kalkulationen der Unternehmen auf. Dies entspricht auch etwa in den Kosten, die diese Firmen einsparen könnten. Der Grund ist, dass vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen noch zu funktional gedacht wird. Wir beraten gerade eine Fabrik mit 700 Mitarbeitern eines mittelständischen Automobilzulieferers, der leider ein Sanierungsfall ist. Dort findet man die klassische Aufgabentrennung in Arbeitsvorbereitung, Fertigungssteuerung, Vertrieb und so weiter. Das ist rückständig, weil es an den Schnittstellen Reibungsverluste gibt. Und das ist nach meiner Erfahrung noch in mehr als der Hälfte aller Betriebe so.

Wo sind die größten Baustellen in der Optimierung der Logistikprozesse?

Balzer: Da gibt es mehrere. Eine große Kostenfalle ist die nicht bedarfsgerechte Produktion. Die Betriebe optimieren ihre Produktion nämlich immer noch nach möglichst hohen Stückzahlen. Das ist aber nicht optimal, weil häufig die Zulieferteile nicht in diesem Produktionstakt zur Verfügung stehen und die Kunden das fertige Produkt nicht in diesen Mengen abnehmen wollen. Dann müssen Puffer aufgebaut werden und das bindet Kapital und erhöht den Aufwand fürs Handling. Ein großes Thema sind auch ungünstige Verpackungen. Wenn man am Ende des Fertigungsbandes verpackt, entscheidet die Verpackungsgröße über die Losgröße und von der hängen die Kosten ab. Verpackt man dagegen die Teile mehrerer Bänder zentral, ist man unabhängig und die Verpackung beeinflusst nicht die Produktionssteuerung.

Wo müssen die Unternehmen umdenken?

Balzer: Die Unternehmen müssen in Prozessen denken und zwar in ganzen Prozessketten, die vom Vorlieferanten bis zum Kunden reichen. Nur wenn man die ganze Kette optimiert, kann man wirklich Geld sparen und oftmals auch Lieferzeiten verkürzen und vielleicht sogar die Variantenvielfalt steigern. Das bedeutet, dass die Unternehmen weg müssen von der produktionsorientierten Logistik. Vielmehr brauchen wir eine logistikorientierte Produktion, das heißt, die Logistik dominiert und steuert die Produktion. Das erfordert etwa, dass die Produktion so flexibel und die Rüstzeiten so gering sein müssen, dass Änderungen im Lieferstrom nicht zu Produktionsausfällen führen. Auf der anderen Seite müssen auch die Lieferanten – ob intern oder extern – sehr flexibel sein. Wenn dies gelingt, gibt es in den Prozessen keine Verschwendung mehr.

Gibt es diese Probleme auch in großen Unternehmen?

Balzer: Die Probleme gibt es überall, obwohl große Unternehmen die Herausforderung meist schon erkannt haben und auch ohne akute Not auf uns zukommen, weil sie ihre Prozesse ohnehin laufend verbessern möchten. Sie haben zum Beispiel erkannt, dass ein Logistikprozess nicht an den Werkstoren endet, sondern dass die gesamte Kette aus einer Hand gesteuert werden muss. Das hört sich natürlich leicht an, aber gerade in großen Unternehmen sind die Verflechtungen so groß, dass man schon genau hinschauen muss, um die tatsächlichen Kostenfresser zu finden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Balzer: Einer unserer Kunden ist Bosch. Im Werk in Eisenach, wo elektronische Komponenten und Kunststoffteile für Sensoren in Motoren hergestellt werden, stand man vor einer klassischen Make- or Buy-Entscheidung. Bisher wurden die Teile in ein Lager gegeben, das von einem externen Dienstleister betrieben wurde, und man wollte wissen, ob es sich nicht lohne, das Lager selbst zu betreiben. Wir haben die Konzepte durchgerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Selbermachen hier tatsächlich lohnen würde, obwohl der Bau eines Lagers natürlich Geld verschlingt. Das Ziel von Bosch, die Lieferzyklen zu verkürzen und die Produktion mit hohen Frequenzen und geringen Puffern zu fahren, ließ sich mit einem intern betriebenen Lager einfach günstiger erzielen – die Einsparung beträgt mehrere Millionen Euro im Jahr. Manchmal ist Make also besser als Buy, zumal es hier auch um Kernkompetenzen geht. Man muss allerdings zugeben, dass bei den meisten Firmen die Fragestellung umgekehrt ist: Sie haben die Lagerhaltung im Haus und wollen wissen, ob sich die Auslagerung lohnt.

Das Bosch-Werk in Eisenach war vergangenes Jahr auch Sieger in ihrem Logistik-Audit. Was ist das genau?

Balzer: Das Audit ist eine von uns entwickelte Methode, den gesamten Lieferstrom in einem Unternehmen zu bewerten. Eine erste Analyse dauert in der Regel zwei Tage und ergibt eine Kennzahl, die den Zustand eines Unternehmens auf dem Weg zur logistikoptimierten Fabrik beschreibt. Dieser LoF-Index liegt zwischen 0 und 1000, wobei der Schnitt zwischen 600 und 800 liegt, gute Betriebe schaffen aber auch über 900, schlechte liegen unter 300. Aus diesem Audit haben wir einen Wettbewerb gemacht, den vergangenes Jahr das Bosch-Werk in Eisenach und das DaimlerChrysler-Werk für Nutzfahrzeuge in Kassel gewonnen haben. Auch dieses Jahr haben wir rund 30 Bewerber, alles große und namhafte Firmen.

Versuchen die Unternehmen, ihre Zahlen in dem Wettbewerb zu schönen?

Balzer: Natürlich wollen die Firmen gewinnen, weil es gut fürs Image ist. Aber geschönt wird nicht, denn die Teilnehmer wollen von unserer Beratung profitieren. Wir prüfen gezielt nach, Fehler rühren meist daher, dass es die Betriebe nicht besser wissen. Es wird mit offenen Karten gespielt und jeder Teilnehmer erhält am Ende eine Einschätzung und einen anonymen Vergleich mit den anderen Teilnehmern. Wichtig finden die Teilnehmer, dass der Wettbewerb eine Plattform zum Erfahrungsaustausch bietet, wo offen über Probleme diskutiert wird. Deshalb achten wir darauf, dass im Wettbewerb keine direkten Konkurrenten mitmachen.

Könnten wir die Logistik- und Produtionsprozesse nicht dadurch optimieren, dass wir hierzulande das viel gelobte Toyota-Produktionssystem übernehmen?

Balzer: Ich sehe das kritisch. Das Toyota-Produktionssystem funktioniert in Japan toll, weil es kontinuierliche Verbesserung anstrebt und die Lieferanten extrem flexibel und mit großer Verantwortung einbindet. Diese Lieferanten sitzen im Umkreis von maximal 50 Kilometern um das Toyota-Werk. Ein deutscher Unternehmer, der mit der Produktion von Zulieferteilen nach Polen oder nach China geht, seine Kunden aber hier hat, braucht sich mit dem Toyota-Modell nicht zu beschäftigen, weil das sowieso nicht funktioniert. Schon bei mehr als einem halben Tag LKW-Fahrt braucht man Puffer und das frisst häufig den Kostenvorteil auf .- und da sind die Entfernungen der Vorlieferanten im Ausland noch gar nicht berücksichtigt. Die Entscheidung für eine Produktionsverlagerung ins Ausland wird eben viel zu häufig allein mit Blick auf Produktionskosten getroffen, die Logistikkosten bleiben unberücksichtigt. Das erkennen immer mehr Unternehmer und wenn die Transportkosten noch weiter steigen, werden viele wieder aus dem Ausland zurückkommen.

ZUM AUTOR
Über Dr. Harald Balzer
CONCEPT AG
Dr. Harald Balzer ist Vorstandsvorsitzender der Concept AG. Seit seinen beruflichen Anfängen beim Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) hat Dr. Harald Balzer umfangreiche Expertise in nahezu allen Feldern der ...
CONCEPT AG
Zettachring 6
70567 Stuttgart

+49-711-132740
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