„Wir sind und handeln agil“ – dieses Selbstbild haben viele Verkäufer. Doch faktisch zeigen sie im Vertriebsalltag oft stets dieselben Verhaltensmuster – kundenunabhängig.
Vorraussetzung zur Steigerung des Vertriebserfolgs ist, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen. (Bild: panthermedia.net / Wavebreak Media Ltd)
Kein B2B-Verkäufer würde von sich sagen: Mein Verhalten im
Kundenkontakt ist unflexibel und nicht agil. Denn ein schnelles
Reagieren auf veränderte Kundenwünsche ist im Vertrieb von
Industriegütern und -dienstleistungen überlebenswichtig. Trotzdem stößt
man im Kontakt mit Unternehmen oft auf Phänomene, die auf eine geringe
Flexibilität und Kundenorientierung der Vertriebsmitarbeiter hindeuten.
Das liegt auch daran, dass in den Vertriebsbereichen vieler Unternehmen
und in den Köpfen von deren Mitarbeitern das Credo existiert: „Im
Vertrieb wird der Umsatz und Gewinn gemacht.“. Deshalb sind die Prozesse
primär darauf ausgerichtet, kurzfristig mögliche viele Aufträge zu
erlangen.
Die Erwartungen der Kunden sind verschiedenDas ist an sich nicht schlecht, doch vergessen wird hierbei zweierlei.
- Der Vertrieb ist auch das Ohr der Unternehmen am Markt. Er erfährt
meist als Erstes, was sich bei den Zielkunden und in deren Märkten
verändert, weshalb ein neuer Bedarf entsteht. Auf diese Infos seitens
ihrer Verkäufer sind die Unternehmen beim (Weiter-)Entwickeln ihres
Produkte und Leistungen angewiesen, damit sie marktfähig bleiben.
- B2B-Kunden kaufen bei einem Unternehmen nur, wenn dieses ihnen –
verglichen mit seinen Mitbewerbern – einen Mehrwert bietet. Dieser
Mehrwert kann technischer Natur sein, häufig ist er jedoch auch
ablauf-organisatorischer oder kaufmännischer Art. Und nicht selten
erteilen die Entscheider einem Unternehmen auch den Auftrag, weil die
„Chemie“ zwischen ihnen und dem Verkäufer stimmt.
Deshalb lohnt
es sich, bei (Miss-)Erfolgen im Vertrieb zu fragen „Warum erhielten wir
diesen Auftrag (nicht)?“, um hieraus für die Zukunft zu lernen.
Gemeinsam aus (Miss-)Erfolgen lernenEine
solche Selbstreflexion zumindest im Kollegenkreis, ist den meisten
Verkäufern fremd, denn ihr Persönlichkeitsprofil entspricht meist dem
von Einzelkämpfern. Und diese Mentalität wird durch ihre Arbeitgeber oft
gefördert – zum Beispiel durch individuelle Boni statt Teamboni.
Teilweise ist dies gerechtfertigt. Denn wenn ein Verkäufer bei Kunden
ist, muss er sich autonom entscheiden und selbstständig agieren können –
situations- und kundenabhängig.
Die Kehrseite der Medaille ist
jedoch: Häufig findet in der Vertriebsorganisation zu wenig Austausch
statt. Und in den Vertriebsmeetings wird primär über die Umsatzzahlen
gesprochen – und zuweilen noch darüber, welche Aufträge man als nächstes
gewinnen möchte. Nur ganz selten werden jedoch Fragen erörtert wie:
- Was genau waren die (Miss-)Erfolgsfaktoren bei diesem Projekt, bei diesem Kunden? Und:
- Was können wir aus den (Miss-)Erfolgen lernen?
Ein systematisches Lernen erfolgt also nicht.
Im Try-and-Error-Verfahren neue Lösungen findenEin solches Lernen setzt in der Vertriebsorganisation eine Kultur und Struktur voraus, die sicherstellt, dass
- die Vertriebsmitarbeiter offen und angstfrei über die Herausforderungen
sprechen, vor denen sie im Kundenkontakt stehen, und
- sich wechselseitig Feedback geben und beraten.
Zudem
sollten in den Vertriebsteams unterschiedliche Verkäufertypen und
-persönlichkeiten vertreten sein. Denn die Kunden und ihre Bedürfnisse
sind verschieden. Also wollen sie auch unterschiedlich angesprochen und
betreut werden. Zudem sollten an den Reflexionstreffen auch Vertreter
der anderen Unternehmensbereiche teilnehmen, die am Erbringen der
Leistung, die die Vertriebsmitarbeiter verkaufen, beteiligt sind. Denn
sie bringen oft andere Perspektiven ein, die neue „Lösungen“ und
Vertriebsstrategien ermöglichen.
Sich gemeinsam in eine Lernschleife begebenDiese
müssen häufig im Try-and-Error-Verfahren ermittelt werden. Ein solch
iteratives und experimentelles Vorgehen beim Lösen schwieriger Aufgaben
sind erfahrene Vertriebsmitarbeiter gewohnt – sonst hätten sie bei
komplexen Vertriebsaufgaben, bei denen es oft zunächst die wahren
Bedürfnisse der Zielkunden zu erkunden gilt, keinen Erfolg. Doch leider
erfolgt das hiermit verbundene Lernen meist nur auf individueller Ebene.
Besser wäre es, wenn sich die Vertriebsmitarbeiter gemeinsam in solche
reflexiven Lernschleifen begäben, mit dem übergeordneten Ziel die
Vertriebseffizienz zu steigern.
Hierfür ein Beispiel. Angenommen
ein Hersteller von Investitionsgütern möchte ein neues Produkt im Markt
einführen und ein Vertriebsziel für das kommende Halbjahr lautet: Wir
wollen sechs Referenzkunden für dieses Produkt gewinnen. Dann könnten
sich die Keyaccounter mit den Produktentwicklern und Servicetechnikern
in einem Planungsmeeting zunächst fragen:
- Welche Unternehmen
könnten sich – aufgrund ihrer Strategie und Marktposition sowie der
Herausforderungen, vor denen sie stehen – am ehesten für unser Produkt
interessieren?
- Welchen Nutzen/Mehrwert können wir den (einzelnen) Unternehmen mit unseren Produkten/Leistungen bieten?
- Ist dieser Nutzen eher technischer, ablauf-organisatorischer oder kaufmännischer Natur?
- Welche Strategie und Taktik sollten wir deshalb beim Versuch, das Unternehmen für unser Produkt zu begeistern, verfolgen?
- Welche Funktionsträger in der jeweiligen Kundenorganisation sollten wir
zunächst kontaktieren – mit welcher Nutzenargumentation?
- .....
Aus
den Antworten könnten kundenspezifische Vertriebsstrategien und
Maßnahmenpläne abgeleitet werden, die die Keyaccounter bei ihrem
Versuch, die einzelnen Unternehmen als Kunden zu gewinnen, verfolgen;
zudem könnte der nötige Support organisiert werden.
Nach dieser
ersten Planungsphase machen sie die Keyaccounter ans Werk. Dabei
tauschen sie sich jedoch ein, zwei Mal pro Woche beispielsweise bei
kurzen persönlichen Treffen oder in Telefon- oder Videokonferenzen über
die ergriffenen Maßnahmen aus und darüber, wie erfolgreich diese waren.
Alle
drei, vier Wochen treffen sie sich zudem mit ihren Kollegen und den
firmeninternen Unterstützern, um sich wechselseitig detailliert über den
Stand des Vertriebsprojekts zu informieren; gemeinsam reflektieren sie
zudem, inwieweit ihre Annahmen, die der Vertriebsstrategie und -taktik
sowie Maßnahmenplanung zugrunde liegen, sich als zutreffend erwiesen
oder ob diese eventuell modifiziert werden müssen – zum Beispiel
- weil sich der Zielkunde X anders als angenommen kaum für die möglichen
Kosteneinsparungen interessiert, aber das Thema Innovation für ihn eine
hohe Relevanz hat, oder
- weil beim Zielkunden Y anders als
angenommen nicht der kaufmännische Leiter, sondern der Produktionsleiter
bei solchen Investitionsentscheidungen den Hut auf hat.
Möglichst flexibel auf die Situation reagierenBei
diesen Meetings geht es also darum, möglichst flexibel und agil auf die
Situation bei den (einzelnen) Zielkunden zu reagieren, und hierfür
erarbeiten die Verkäufer und ihre Unterstützer im Kollegenkreis mögliche
Lösungen. Sie begeben sich also gemeinsam in eine Lernschleife, die
darauf abzielt, die Perspektiven der Keyaccounter und ihr
Verhaltensrepertoire zu erweitern, so dass sie im Kundenkontakt agiler
und flexibler agieren können.
Am Ende jedes Vertriebsprojekts sollte ein Review stehen, bei dem die Projektbeteiligten nochmals gemeinsam reflektieren:
- Welche Erfahrungen haben wir in dem Projekt gesammelt?
- Was lernen wir daraus? Und:
- Welche neuen Standards sollten wir daraus für die künftige Kundenakquise und Zusammenarbeit ableiten?
Für
ein solches Vorgehen brauchen Unternehmen meist keine neuen
Mitarbeiter. Wenn das erklärte Ziel jedoch lautet „Wir wollen im
Vertrieb agiler werden“, sollte bei Neueinstellungen verstärkt darauf
geachtet werden, inwieweit die Kandidaten die Persönlichkeitsmerkmale
mitbringen, um ein entsprechendes Verhalten im Vertriebsalltag zu
zeigen.
Den Verkäufern den nötigen Mindset vermittelnAnsonsten
sollten die Unternehmen mit Trainings und Coachings darauf hinarbeiten,
dass ihre vorhandenen Verkäufer den nötigen Mindset entwickeln, um das
gewünschte Verhalten zu zeigen. Recht einfach gelingt dies mit
Fallbeispielen, die unter anderem zeigen
- wie rasch sich die Kundenbedürfnisse in der VUCA-Welt wandeln,
- wie verschieden die Nutzenerwartungen der Kunden sind,
- wie unterschiedlich die Kaufentscheidungsprozesse in den Unternehmen ablaufen und
- wie verschieden die Entscheider in den Kundenorganisationen „ticken“
– weshalb die Verkäufer bei ihrer Arbeit eine hohe Agilität und Verhaltensflexibilität zeigen müssen.