Fachartikel, 03.09.2006
Perspektive Mittelstand
Wirtschaft/Mittelstand (allgemein)
Existenzgründung - den Geldhahn abgedreht
Noch nie in der neueren Geschichte der Bundesrepublik war der Saldo aus Unternehmensgründungen und -liquidationen so klein wie im vergangenen Jahr. Unter dem Strich überstieg die Zahl der Gründungen die der Löschungen nur um knapp 54.000 Firmen.
In den neunziger Jahren kletterte die Zahl der Unternehmen dagegen noch Jahr für Jahr per saldo um mehr als 100.000. Für die rückläufige Entwicklung gibt es mehrere Ursachen wie die schwierigere Gründungsfinanzierung und das Ende der Ich-AG.

Das Gründungsgeschehen in Deutschland bildet seit der Wiedervereinigung eine Art Wellenform. Darin spiegelt sich zum Teil das konjunkturelle Auf und Ab wider: Wenn die Wirtschaft brummt, wollen Entrepreneure auch ein Stück vom Kuchen abhaben – wenn es schlecht läuft, trauen sich viele nicht, einen Betrieb aufzumachen. Daneben hat der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in Ostdeutschland die Zahl der neuen Unternehmen zunächst nach oben klettern lassen.

Allerdings sind die Gründungen im vergangenen Jahr so stark eingebrochen wie niemals zuvor in der 15-jährigen Nachwendezeit. Gleichzeitig haben 440.000 Unternehmen das Handtuch geworfen, so dass der Gründungssaldo mit nur noch 53.600 den niedrigsten Stand seit 1991 erreichte.

Daraus auf eine neue Mutlosigkeit unter Jungunternehmern oder einen drohenden wirtschaftlichen Abschwung zu schließen, wäre indes verkehrt. Denn die Entwicklung im vergangenen Jahr wurde durch Sondereffekte beeinflusst, die mit der staatlichen Förderung neuer Existenzen zusammenhängen:

::: In den Jahren 2003 und 2004 gab es bei den Existenzgründungen vor allem deshalb einen Boom, weil sich Arbeitslose im Rahmen der Hartz-Reformen mit einem Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit leichter selbstständig machen konnten.

:::Im Jahr 2005 war dann der Spuk vorbei. Es wurden nur 94.000 Anträge bewilligt, nach 171.000 ein Jahr zuvor. Die Förderbedingungen für die Ich-AGs waren verschärft worden. Seither wurde ein tragfähiger Business-Plan verlangt.

Die schärfere Gangart wurde allgemein als sinnvoll angesehen, um Mitnahmeeffekte einzudämmen. Betroffen waren vor allem Mini-Gründungen mit eher zweifelhaften Geschäftskonzepten.

Anlass zur Sorge bietet eine andere Entwicklung: Die Zahl der Gründungen von größeren Betrieben, die in die Handwerksrolle oder ins Handelsregister eingetragen werden und eher mit neuen Jobs verbunden sind, ist ebenfalls gesunken, und zwar um 9 Prozent auf 113.000. Doch auch hier spielt ein Sondereffekt mit, der den Rückgang bei den Geschäftseröffnungen in einem etwas milderen Licht erscheinen lässt: Die Lockerung des Meisterzwangs hat 2004 zu einem Gründerboom im Handwerk geführt, der 2005 auslief.

Wie es in diesem Jahr weitergeht, ist noch nicht ausgemacht. Der konjunkturelle Aufwärtstrend müsste eigentlich dafür sorgen, dass die Gründerzahlen wieder anziehen. Tun sie aber nicht:

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Im ersten Quartal 2006 stagnierte die Zahl der neuen Existenzen gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei knapp 130.000.
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Trauen potenzielle Jungunternehmer dem Aufschwung also nicht – oder stecken andere Verhaltensmuster dahinter?

Wer das Gründungsgeschehen der letzten Jahre analysiert, findet auf diese Frage schnell eine Antwort: Viele Gründer haben in den mageren Jahren nicht aus Überzeugung den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt, sondern aus der Not – weil sie für sich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt sahen.

Was sich jetzt abzeichnet, ist nur die andere Seite derselben Medaille: Die besseren Arbeitsmarktchancen lassen einen Angestelltenjob nicht mehr in weite Ferne rücken – der eigene Chefsessel wird so unattraktiver.

Dieses Verhaltensmuster ist empirisch belegt: Laut Global Entrepreneurship Monitor (GEM) kommen in Deutschland auf zehn Existenzgründer, die eine Geschäftsidee verwirklichen wollen und ihre Chance suchen, vier Neuunternehmer, die sich aufgrund der Jobmisere zur Selbstständigkeit gezwungen sehen. In den Vereinigten Staaten beträgt das Verhältnis dagegen 10 zu 1,5.

Damit künftig deutsche Firmen weniger aus der Not und mehr aus Überzeugung geboren werden, muss sich hierzulande nicht nur in den Köpfen der Gründer etwas ändern. Gegen mangelnde Risikobereitschaft ist der Staat weitgehend machtlos. Allerdings kann er über bestimmte Stellschrauben durchaus den einen oder anderen aus der Reserve locken, indem er Bürokratie abbaut und das Thema Unternehmensgründungen in den Lehrplan der Schulen einfügt.

Ganz ohne finanzielle Rückendeckung für Gründungswillige bleiben alle diese Initiativen jedoch Stückwerk. Denn jede Geschäftseröffnung kostet erst einmal Geld. Bis Einnahmen fließen, müssen Büromieten, Ausgaben für Computer, für Mitarbeiter und Werbung zunächst vorgestreckt werden.

Der Bund will dabei helfen und bietet über seine Institutionen einige Förderwege für Unternehmensgründer an:

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1. Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
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Die bundeseigene Förderbank stellt im Rahmen der Frühphasen-Förderung Beteiligungskapital für junge Unternehmen zur Verfügung. Ferner gibt es Gründungskredite: Das so genannte Mikrodarlehen wird bis zu einer Höhe von 25.000 Euro vergeben; darüber greift das „StartGeld“, mit dem Gründer ihre Investitionen mit bis zu 50.000 Euro finanzieren können.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Die Darlehen können nur über normale Geschäftsbanken beantragt werden. Das schafft nicht selten Probleme. Denn Gründungswillige müssen erst eine finanzierungswillige Bank für ihr Vorhaben finden, bevor sie Geld von der KfW erhalten. Viele Geldhäuser haben sich aber aus der Gründungsfinanzierung zurückgezogen. Zum einen scheuen sie das Risiko fauler Kredite. Zum anderen verdienen sie an der Durchschleusung der Mittel zu wenig.

Um die Kreditinstitute wieder ins Boot zu holen, erhalten die Banken nun im Programm „Mikro 10“ für Kleinkredite bis zu 10.000 Euro eine höhere Bearbeitungsgebühr.

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2. Bundesagentur für Arbeit (BA)
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Es war nicht alles schlecht an Überbrückungsgeld und Ich-AG. Immerhin hat dieser Förderweg viele Arbeitslose animiert, über eine Selbstständigkeit ernsthaft nachzudenken, statt die Hände in den Schoß zu legen.

Die BA hat nun Anfang August 2006 die beiden bisherigen Angebote sang- und klanglos beerdigt und durch den neuen Gründungszuschuss ersetzt. Dieser richtet sich in erster Linie an Arbeitslosengeld-I-Empfänger, also Arbeitnehmer, die gerade erst ihre Stelle verloren haben. Die Beihilfe der Agentur entspricht für die ersten neun
Monate dem Arbeitslosengeld I zuzüglich 300 Euro.

Damit es zu keinem Gewöhnungseffekt kommt, überprüfen Experten der BA nach einem Dreivierteljahr, ob das Konzept trägt. Wenn ja, gibt es für ein weiteres halbes Jahr monatlich 300 Euro. Die maximale Förderdauer beträgt nun also 15 Monate; beim Überbrückungsgeld war spätestens nach einem halben Jahr Schluss, bei der Ich-AG nach drei Jahren.

Mit dieser neuen Befristungsregelung kommt die Nürnberger Behörde Kritikern entgegen, die den Förderzeitraum beim Überbrückungsgeld für zu kurz und bei der Ich-AG für zu lang hielten. Die einen mussten schon nach sechs Monaten auf eigenen Füßen stehen, was nicht immer klappte. Die anderen richteten sich am Tropf ein und zeigten wenig Initiative, das zu ändern.

Die Bundesregierung erwartet etwa 170.000 über den neuen Zuschuss geförderte Gründungen pro Jahr; das wären nicht mehr Empfänger als beim früheren Überbrückungsgeld. Die Kosten dürften in diesem Fall bei jährlich 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro liegen.
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