Fachartikel, 20.10.2006
Perspektive Mittelstand
Deutsche Industrie
Deutliche Anzeichen für Trendwende
Das Verarbeitende Gewerbe hat in Deutschland seit den siebziger Jahren in erheblichem Maß Anteile an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung abgeben müssen. Seit einigen Jahren zeigt die Entwicklung jedoch wieder leicht nach oben.
Unter anderem hat sich der Konsumtrend hin zu den Dienstleistungen verlangsamt. Zudem steht die Auslagerung von Produktionsteilen bei den Unternehmen offenbar nicht mehr so hoch im Kurs. Schließlich haben die jüngsten Exporterfolge die industrielle Wertschöpfung gesteigert.*)

In Diskussionen um die Zukunft des Standorts Deutschland wurde die Industrie in den vergangenen Jahren so manches Mal nur noch belächelt – sie sei in einer hoch entwickelten Volkswirtschaft geradezu ein Auslaufmodell, hieß es.

Doch wer eine solche Meinung vertritt, hat beim Strukturwandel nicht genau hingeschaut. Zwar ist es richtig, dass seit den siebziger Jahren in mehreren Schüben ein Rückgang des Industrieanteils an der gesamten Wertschöpfung zu beobachten war. Die letzte Abwärtsbewegung datiert jedoch aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre, seither wurde aus der De- eher eine Re-Industrialisierung:

Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung legte seit 1996 um 1 Prozentpunkt auf 23,2 Prozent zu.

Das Minus der Jahre 1991 bis 1996 resultiert dabei nicht aus einem Niedergang der ostdeutschen Industrie nach der Wiedervereinigung. Denn schon 1992 und 1993 stieg deren nominale Wertschöpfung um 9 Prozent beziehungsweise 11 Prozent. Die damaligen Anteilsverluste waren allein den noch stärkeren Zuwächsen im Baugewerbe zuzuschreiben.

Seit Mitte der neunziger Jahre schlägt sich der Aufbau des Verarbeitenden Gewerbes in Ostdeutschland auch in den von 11,9 auf 16 Prozent gestiegenen Wertschöpfungsanteilen nieder. Die Firmen zwischen Rostock und Riesa tragen damit erheblich zum gesamtdeutschen Bedeutungsgewinn dieses Wirtschaftszweigs bei. Hinter der Trendwende stecken im Wesentlichen vier Faktoren:

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1. Nachfragewandel
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In einer Marktwirtschaft bestimmen die Verbraucher darüber, was die Unternehmen produzieren. Frühe Studien zum Strukturwandel zeigten, dass mit steigendem Einkommen Dienstleistungen überproportional nachgefragt werden. Wenn Grundbedürfnisse z.B. nach Lebensmitteln gedeckt sind, geben die Bürger zusätzliches Geld verstärkt etwa für Reisen oder kulturelle Dienste aus. Zudem werden in einer komplexer werdenden Gesellschaft wissensorientierte Serviceleistungen immer wichtiger. All dies lässt die relative Bedeutung der Industrie für den Konsum schwinden. Der Blick auf die vergangenen fünfzehn Jahre bestätigt dies weitgehend:

Im Jahr 1991 verwendeten die deutschen Haushalte 57 Prozent ihres Konsumbudgets für den Kauf von Industriewaren – 2005 dagegen nur noch 48 Prozent. Spiegelbildlich stieg der Dienstleistungsanteil von 43 auf 52 Prozent.

Das Tempo dieses Wandels hat sich allerdings seit 1995 deutlich verlangsamt. Zu vermuten ist, dass sich darin nicht zuletzt die verhaltene Einkommensentwicklung der vergangenen zehn Jahre bemerkbar macht.

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2. Produktionswandel.
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Das Stichwort Service spielt auch auf der Seite der Hersteller eine immer größere Rolle. Das liegt zum einen daran, dass z.B. Verwaltungstätigkeiten auch in Industrieunternehmen einen breiteren Raum einnehmen. Zum anderen lassen sich viele Industrieerzeugnisse nur noch mit einem Zusatzpaket an Dienstleistungen – wie Werbung, Beratung und Finanzierungsangeboten – verkaufen. Wer hier die Kunden besonders umsorgt, hat oft im Wettbewerb die Nase vorn.

Solange diese Servicepakete in den Produktionsbetrieben selbst geschnürt werden, fällt die damit verbundene Wertschöpfung dem Industriesektor zu. Eine Tendenz der vergangenen Jahre war aber, dass sich die Unternehmen mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrierten und insbesondere Servicearbeiten ausgelagert haben – von der Buchhaltung bis zu Reparaturdiensten.

Die Wertschöpfung in der Industrie fiel aufgrund dieses Trends zum so genannten Outsourcing entsprechend geringer aus. Aber auch hier zeigt die Statistik, dass „Zukaufen statt Selbermachen“ nicht mehr alles ist – womöglich hat die Zusammenarbeit mit externen Servicefirmen nicht immer die Erwartungen erfüllt. Jedenfalls ist der Anteil der Vorleistungen am Produktionswert des Verarbeitenden Gewerbes seit dem Jahr 2000 mit knapp 67 Prozent nahezu konstant geblieben.

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3. Produktionsverlagerungen ins Ausland
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Dass sich die Betriebe im industriellen Fertigungsprozess stärker spezialisiert haben, zeigt sich auch im Export. In den Waren, die als „made in Germany“ in alle Welt verkauft werden, stecken zunehmend aus dem Ausland bezogene Vorleistungen – nicht zuletzt, weil sie günstiger sind und dies die Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen verbessert. Zudem werden eingeführte Güter hierzulande zum Teil nur noch etwas überarbeitet und dann wieder ins Ausland verschickt. In Zahlen:

Der gesamte Importanteil an den deutschen Warenexporten kletterte seit 1995 von 31 auf 42 Prozent.

Aber auch hier ist festzustellen: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Herkunftsstruktur der Ausfuhren kaum noch geändert. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass sich die deutschen Firmen bereits zuvor verstärkt in den heutigen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas niedergelassen und dort ein Netz von Zulieferern aufgebaut hatten.

Der nach wie vor bedeutende nominale Beitrag der aus dem Außenhandel resultierenden industriellen Wertschöpfungist aber vor allem auf den jüngsten Exportboom zurückzuführen. Während sich der Wert der ins Ausland gelieferten Waren im Schnitt der Jahre 1992 bis 1996 lediglich um 3,8 Prozent erhöhte, betrug der Zuwachs im Zeitraum 1997 bis 2005 durchschnittlich 7,8 Prozent. Dabei dürfte sich auch der zuletzt langsamere Anstieg der Arbeitskosten positiv ausgewirkt haben.

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4. Preis- und Wechselkurseinflüsse
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Da das gesamtwirtschaftliche Gewicht eines Sektors üblicherweise anhand seines Anteils an der nominalen Wertschöpfung gemessen wird, gilt es auch, einen Blick auf die Preise zu werfen. Werden diese in der Industrie langsamer angehoben als bei den Dienstleistern, legt die Wertschöpfung in nominaler Rechnung ebenso geringer zu. In der Tat war ein solcher Trend seit 1991 zu verzeichnen – allerdings nur fünf Jahre lang:

Bis 1995 stiegen die Industriepreise pro Jahr im Schnitt um 1,8 Prozent, die Dienstleistungspreise um 3,5 Prozent. Von 1996 bis 2005 war die mittlere Teuerungsrate in beiden Sektoren jedoch mit 0,4 bzw. 0,5 Prozent nahezu gleich.

Damit fiel in den vergangenen zehn Jahren auch ein rechnerischer De-Industrialisierungsfaktor weg. Eine Erklärung für das unterschiedliche Preistempo in der Industrie und im Servicebereich, wonach erstere höhere Produktivitätsfortschritte erzielt und als Preisnachlässe an die Kunden weitergibt, bleibt gleichwohl interessant. Denn tatsächlich ist die Wertschöpfung je Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe von 1991 bis 2005 mit 3,3 Prozent pro Jahr viel stärker gewachsen als im Dienstleistungsgewerbe (plus 0,1 Prozent). Die Produktivitätsgewinne dürften daher bis zuletzt einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Industriebetriebe ihre Preise nahezu stabil halten konnten.

Die Produktivität vorangetrieben hat neben dem technischen Fortschritt und dem harten globalen Wettbewerb im Industriesektor wohl auch die Wechselkursentwicklung. Seit Beginn der siebziger Jahre stieg der Außenwert der D-Mark bzw. später des Euro um fast 100 Prozent. Um einer entsprechenden Verteuerung ihrer Exportwaren entgegenzuwirken, mussten die deutschen Firmen kräftig auf die Produktivitätstube drücken.

Dass der Gegenwind trotz eines neuerlichen Aufwertungsschubs seit dem Jahr 2000 etwas nachgelassen hat, ist wiederum der florierenden Weltwirtschaft und der dadurch expandierten Nachfrage vor allem nach deutschen Investitionsgütern zu verdanken.

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*Vgl. Michael Grömling, Karl Lichtblau: Deutschland vor einem
neuen Industriezeitalter?, IW-Analysen Nr. 20, Köln 2006,
88 Seiten, 19,80 Euro. Bestellung über Fax: 0221 4981-445
oder unter www.divkoeln.de
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