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Fachartikel, 20.12.2006
Vertrieb und Verkauf
Das Mysterium „Kunden-Zielgruppe“
Marketing- und Corporate Communications der Unternehmen, Öffentlichkeitsarbeit der Nonprofit-Institutionen und Interne Kommunikation kosten Geld. Dafür muss die bezahlte Kommunikation etwas bringen und auf die jeweilige Kunden-Zielgruppe abgestimmt sein.
Ziel dessen, was wir unter Kommunikation verstehen, ist immer ein Tausch. Fragt sich, wer hier was nimmt und gibt. Paul Watzlawick hat hierzu eine Art Gesetz formuliert: „Eine Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt“. Wer setzt wo in der Kommunikation die Punkte und die Kommas? Im Hinundher zwischen Ehepartnern oder Staaten geht es oft darum, wer den Ehekrach oder den Krieg angefangen hat. In Marketing und Werbung ist die Interpunktion auf den ersten Blick eindeutig: Der Käufer will etwas, der Verkäufer bietet es. Das ist moderne Marketing-Philosophie, und es ist richtig, aber es findet sich nicht in der aktuellen Werbetheorie wieder. Der 180°-Dreh in unserem neuen Denken ist eine neue Interpunktion für die bezahlte Kommunikation. Damit ist die übliche, behavioristische Sender-Empfänger-Interpunktion aufgehoben. Noch richtiger ist eine Interpunktion, die sich beim zweiten Blick ergibt: Wir sind es, die von unserer Zielperson etwas wollen, und die ihr etwas dafür bieten müssen. Wenn wir Kommunikation machen oder machen lassen, sollten wir das immer im Kopf haben.

Zielperson ist also jemand, von dem einerseits wir etwas wollen, der andererseits von uns etwas will, und dem wir folglich etwas bieten müssen. Die neue Geben-Nehmen-Interpunktion führt zu einer Frage, die so gut wie nie gestellt wird: Wer ist für uns keine Zielperson?

::: Keine Zielperson ist jemand, von dem wir etwas wollen, dem wir aber nichts bieten können.

::: Keine Zielperson ist jemand, der von uns nichts will, obwohl wir ihm etwas bieten können. Etwa weil er zu starke Vorurteile uns gegenüber oder zu schlechte Erfahrungen mit uns hat.

So jemanden mit Werbung etc. gewinnen zu wollen, wird teuer. Der Aufwand wächst mit dem Widerstand, den es zu überwinden gilt. Irgendwann fallen diese Leute als Zielpersonen aus. Wer ist Zielperson? Wer nicht? Wer beides kennt, spart Geld bei denen, um die es nicht geht, und macht bessere Kommunikation bei denen, um die es geht. Die Summe derjenigen, um die es uns geht, ist die Zielgruppe — eine Anzahl von Leuten, in Marketing und Werbung auch Markt genannt. Brauchbare Wörter für Kaufleute und Mediaplaner. Tödliche Wörter für die Gestalter. Niemand fühlt sich angesprochen, wenn er als Gruppe angesprochen wird. Wir kommunizieren mit Personen, nicht mit Gruppen. Wir benutzen dafür Massenmedien, aber unsere Kommunikation ist persönlich.

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Was kommt zuerst: Die Person, auf die wir unser Ziel ausrichten? Das Ziel, das wir bei dieser Person erreichen wollen? Henne oder Ei?
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In vielen Kommunikations-Konzepten kommen zuerst die Ziele. Es empfiehlt sich, Ziele auf Personen auszurichten: Zuerst die Zielgruppe, dann die Ziele. Wer mehr als eine Zielgruppe anspricht, kann gar nicht anders. Ein gemeinsames Ziel für Großhändler und Endabnehmer oder für Spender und Mitglieder wäre ein zu kleiner gemeinsamer Nenner, um daraus Kommunikation zu machen.

Eine überschaubare Liste denkbarer Zielpersonen

Die übliche Vorstellung von Zielperson (bzw. Zielgruppe) lautet: Der (bzw. die) Verbraucher, der (bzw. die) Konsument(en). Diese Vorstellung herrscht auch in den Büchern zu Marketing und Werbung vor. Die unterschiedlichen Formen bezahlter Kommunikation von Unternehmen und Nonprofit-Institutionen richten sich an unterschiedliche Personengruppen, aber deren Anzahl ist erstaunlich überschaubar.

Stellen wir uns das Ganze als eine Art Matrix vor, dann stehen auf der einen Seite wir: Entweder ein Unternehmen (Verkäufer) oder eine Nonprofit-Institution („Verkäufer“). Auf der anderen Seite steht unsere Zielperson: Ein Käufer oder „Käufer“, von dem wir auf die unterschiedlichste Weise etwas wollen (und der dafür etwas von uns will). Unser Gegenüber ist entweder reale Zielperson, zum Beispiel Kunde oder Mitglied, oder potenzielle Zielperson, zum Beispiel Noch-nicht-Kunde oder -Mitglied — eine wichtige Unterscheidung.

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Die Liste denkbarer Zielpersonen lässt sich auf eine simple Vierer-Typologie herunterkochen:
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1. Wir verkaufen und „verkaufen“ an: Endabnehmer (Kunden, Verbraucher, Konsumenten, Klienten, Patienten, Gäste, Besucher, Teilnehmer, Mieter, Pächter, Lizenznehmer), Mittler (Groß- und Einzelhändler, Vertretungen, Empfehler), Klientel (Mitglieder, Spender, Sympathisanten, Bürger, Wähler).

2. Wir kaufen und „kaufen“ von: Lieferanten, Mitarbeiter (angestellt, frei, ehrenamtlich), Geldgeber (Teilhaber, Aktionäre, Banken, Fonds, Mitglieder, Spender).

3. Wir als Organisation sind angewiesen auf: Politik, Behörden, Verbände, Nachbarschaft.

4. Unsere Kommunikation braucht als Multiplikatoren: Die Medien.

Die kompakte 2x4-Liste macht es deutlich: Wir und unser Gegenüber befinden uns immer in der Doppelrolle des Anbieters und Nachfragers. Andernfalls kommt keine Kommunikation zustande. Die Sicht des einen Kommunikationspartners ist das Spiegelbild zur Sicht des anderen Kommunikationspartners. Hier zeigt sich dieser ständige Rollenwechsel des Gebens und Nehmens, der uns nach einem Jahrhundert klassischer Verhaltenstheorie häufig Probleme macht.

Gewöhnungsbedürftig ist auch die Vorstellung, dass die Regeln des Kaufens und Verkaufens Eins zu Eins für das „Kaufen“ und „Verkaufen“ der Nonprofit-Institutionen gelten. Was ist zum Beispiel die Rollenverteilung zwischen Amnesty International und einem Spender, oder zwischen dem Rathaus und unserer Unternehmensleitung? Was „kaufen“ und „verkaufen“ sich beide Seiten gegenseitig?

Die Liste enthält nicht die breite Öffentlichkeit oder ähnliches aus dem Wörterbuch von Image-Werbung, Corporate Communications und Öffentlichkeitsarbeit. Man kann Zielpersonen zu Zielgruppen, mehrere Gruppen zu einer Gesamtzahl addieren — eine breite Öffentlichkeit entsteht dadurch nicht. Der größte Teil der Bevölkerung ist für ein Unternehmen oder eine Nonprofit-Institution uninteressant. Eine Botschaft für die breite Öffentlichkeit ist für die einzelne Zielperson uninteressant. Die Zielgruppe „breite Öffentlichkeit“ gibt es nicht.

Woher wissen wir, was unsere Zielperson von uns will?

Eine Zielperson ist das Image, das wir uns von einem Menschen machen, den wir nie persönlich kennenlernen werden. Das Gegenstück zu dem Image, das sich die Zielperson von uns macht. Beides ein hochkarätiges Konstrukt. Je besser das Image, das wir uns von dieser Person machen, desto besser können wir auf sie rückkoppeln. Zunächst wissen wir über sie nur das: Wir haben etwas, was sie brauchen kann, sie kann etwas brauchen, was wir haben. Andernfalls wäre sie nicht Zielperson. Woher nehmen wir alle weiteren Informationen für unser Konstrukt?

Wenn wir aus der kreativen Ecke kommen, kann uns die Zielperson egal sein. Wir kommunizieren für uns und unsere Szene. Wenn wir aus der verhaltenswissenschaftlichen Ecke kommen, beziehen wir unsere Informationen aus der Theorie, die wir gelernt haben, und aus dem, was wir in der Praxis dazugelernt haben.

Von Fall zu Fall beziehen wir unsere Informationen aus der Forschung. Die Forschung folgt der Theorie, und umgekehrt. Forschung und Theorie folgen der Praxis, und umgekehrt. Vor allem in Marketing und Werbung liegen Praxis, Theorie und Forschung eng beieinander. Die traditionelle Marktforschung hat den behavioristischen Sender-Empfänger-Blick. Es ist der Blick des Versuchsleiters auf die Versuchsperson, oft genug der Blick des Experimentators auf die Laborratte. Die Leute werden beobachtet, befragt und Experimenten unterzogen. Zum Einsatz kommen Tests, die anderswo als Intelligenztests dienen, und Apparate, die anderswo Lügendetektor genannt werden.

Zu den beiden entscheidenden Ereignissen zwischen uns und unserer Zielperson — zunächst Kontakt, dann Kauf — trägt die Forschung wenig bei. Der Kontakt wird durch den Forscher hergestellt, nicht durch ein Kommunikationsmittel. Die Kontaktaufnahme durch den freilaufenden Käufer wird dadurch ausgeblendet. Andererseits betreiben Theorie und Praxis geradezu einen Kult um Aufmerksamkeit und Auffallen. Ebensowenig sind Kauf und „Kauf“ ein Thema. Wenig in der Forschung lässt darauf schließen, dass dieses Ereignis einzig und allein das Ziel der Kommunikation ist.

Solange sich die Forschung nicht von ihrem traditionellen Menschenbild trennt, kommt sie der Zielperson nicht näher. Beobachtung, Befragung und Experiment sind die drei Grundformen der Forschung, wie sie in den Büchern stehen.

Forschung, die auf dem konstruktivistischen Menschenbild beruht, ist auf das Gegenüber ausgerichtet. Und sie ist den Umgang mit Konstrukten wie „Zielperson“ und „Skript“ gewohnt. Das passende Wort dafür ist „Gedankenexperiment“. Darunter versteht man das gedankliche Durchspielen eines Experiments mit dem Ziel, Erkenntnisse zu gewinnen, die mit einem realen Experiment nicht zu gewinnen sind. Beim Dritten Weg ist das Gedankenexperiment ein konstruktivistisches, empathisches im-eigenen-Kopf-Durchspielen dessen, was im Kopf der Zielperson abläuft.

Der Behaviorist, der nichts außer dem realen Experiment zulässt, hat mit dem virtuellen Experiment ein Problem. Albert Einstein, dessen Welt ein einziges konstruktivistisches Experiment ist, hätte mit realen Experimenten ein Problem gehabt. Bisher hat die Forschung mehr zu den Problemen beigetragen als zu den Lösungen. Egal, wie das gute alte Grundmodell aus der Nachrichtentechnik in Tiefen-, Motivations-, Wahrnehmungs-, Lern-, Erlebnis- und welche Psychologie auch immer verpackt ist — es schlägt bei jeder Gelegenheit durch:

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Der Verkäufer sendet, der Käufer empfängt und koppelt zurück.
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Um diesen Mechanismus geht es in der Forschung, die den Machern und Entscheidern der bezahlten Kommunikation derzeit zur Verfügung steht. In erster Linie ist das die Forschung für Marketing und Werbung. Wenn die Forschung in Instituten stattfindet und der Theorie dient, trägt sie Bezeichnungen wie Verhaltens-, Kommunikations- oder Verbraucherforschung. Wenn sie im Unternehmen stattfindet und der Praxis dient, wird sie fast einstimmig als Marktforschung bezeichnet. Weniger eindeutig ist, was das einzelne Unternehmen unter Marktforschung versteht. Auf jeden Fall handelt es sich um etwas, das über Wissen, Erfahrung, Intuition und ähnliche Fähigkeiten der Marketing- und Kommunikationsleute hinausgeht, und das man deshalb wissenschaftlich nennt.

Die gängige Forschung für Werbung und verwandte Kommunikationsformen soll herausfinden, wie man Menschen zu Zielgruppen zusammenfassen kann. Wie Empfänger auf das reagieren, was der Sender sendet. Wie ein Reiz variiert werden muss, damit sich eine Reaktion verändert. Es geht um die Beziehung zwischen dem lernenden Pawlow und seinem lernenden Hund.

In der Forschung haben wir eine exotische Situation: Zwischen Theorie, Praxis und Forschung hat sich eine Dreiecksbeziehung herausgebildet, in der jeder jedem zuarbeitet, und alle die Erkenntnisse aller verwerten. Jeder auf der gleichen Grundlage, dem absenderlastigen, Reiz-Reaktion-bestimmten Behaviorismus. Alle mit dem gleichen Ergebnis, der emotionalen Bildkommunikation. Es trifft sich gut, dass es keine Rolle spielt, ob die Bilderwelten nach den Strickmustern der Verhaltenstheorie oder nach den Spielregeln der Kreativität entstehen. Bild statt Text, Form statt Inhalt, Auffallen statt Interesse, Image statt Produkt. Die Werbung dreht sich um sich selbst, und mit ihr jede Art von Kommunikation, die nach ihren Strickmustern bestritten wird. Die Theorie betätigt die Praxis, die Praxis bestätigt die Theorie. Die Forschung bestätigt beide und wird von beiden bestätigt. Die Kommunikation bleibt bei den bekannten Strickmustern. Und bei den bekannten roten Zahlen.

Neues Denken, neue Forschung

Mit dem geforderten Dreh um 180° verändert sich nicht nur unser Kommunikationsmodell, sondern auch unsere Forschung. Jetzt koppelt der Verkäufer zurück auf das, was ihm der Käufer sendet. Die Forschung ist für den Käufer die einzige Möglichkeit, dem Käufer zu sagen, was er von ihm will. Und für den Verkäufer die einzige Möglichkeit, herauszufinden, was er dem Käufer bieten muss. Das Geben und Nehmen auf Gegenseitigkeit ist das einzige, was die beiden füreinander interessant macht — oder eben nicht. Die traditionelle Forschung lässt die beiden entscheidenden Ereignisse der bezahlten Kommunikation links liegen: Kontakt und Aktion.

Der Kontakt ist kein Thema, denn er wird nicht von dem freilaufenden Käufer hergestellt, sondern zwangsläufig durch den Forscher. Die meisten Menschen beschäftigen sich mit einem Werbemittel nur dann, wenn sie es im Test müssen. Freiwillig tun sie es, wenn man den Zahlen glauben darf, zu fünf Prozent.

Die Aktion ist kein Thema, denn alles dreht sich um die Aufmerksamkeit für die Form, aber nicht um das Interesse für den Inhalt. Die Vorgaben kommen vom Forscher und seinem Auftraggeber. Es ist wie beim Intelligenztest: Intelligenz ist, was der Test ergibt. Zielgruppe, Aufmerksamkeit, Bekanntheit, Einstellung oder Image ist, was die Marktforschung ergibt. Der Mensch verhält sich als Testperson anders als in seinem Alltag. Selbst bei der verdeckten Beobachtung ist er nicht der, der er ist, sondern das, was sein Beobachter beobachten will.

Forschungsergebnisse sind Aussagen, die ohne Forschung nicht zustandegekommen wären. Die Forscher nennen es „Laboreffekt“. Nach dieser Dramaturgie haben die Käufer keine Chance, zu sagen, was der Verkäufer wissen muss. Die Forschung sähe anders aus, wenn ihre Dramaturgie von den Käufern käme. Die Kommunikation auch.

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Buchtipp
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Malte Altenbach
Kommunikation neu denken - Werbung, die wirkt: Der Dritte Weg zur Zielperson
BusinessVillage
Göttingen, 2006
110 Seiten
ISBN: 3-938358-35-1
Art-Nr.: 630

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