Fachartikel, 04.10.2006
Perspektive Mittelstand
Leitfaden „elektronische Marktplätze“ – Teil 2
Prinzipien des Relationship-Marketing
Aufgrund der eingangs genannten Rahmenbedingungen für EMP sind der Aufbau und die Pflege stabiler Kundenbeziehungen nur durch gezieltes Relationship Marketing erreichbar. Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, dass letztlich nicht Transaktionen oder Produkte, sondern Marktplatzteilnehmer die Quelle von Erlösen sind.
Gerade für Marktplatzbetreiber bietet sich aufgrund der vorhandenen informationstechnischen Infrastruktur eine ideale Ausgangsposition für den effizienten Einsatz der Relationship Marketing-Instrumente. Die globalen Informationsnetze erleichtern eine effiziente Informationsgewinnung, -analyse und -übertragung. Auf Grundlage der Literatur zum elektronischen Customer Relationship Marketing (Bliemel/Fassot 2000; Diller 2001; Grönroos et al. 2000; Homburg/Sieben 2000) lassen sich folgende strategische Grundprinzipien eines Beziehungsmarketing für EMP ableiten:

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Integrieren
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Hier ist zuerst die Integration des Kunden durch Bereitstellung interaktiver Instrumente wie E-Mails, Chatrooms und Feedback-Formulare zu nennen. Auf diese Weise kann eine Kommunikation mit dem Provider gewährleistet werden, die v.a. zur Bedürfnisartikulation und zu Verbesserungsvorschlägen der Kunden führen soll. Insofern ist die Integration ein wichtiges Instrument der Marktforschung.

Weiterhin lassen sich Kunden in die Wertschöpfungsprozesse des Marktplatzes einbeziehen, indem sie selbst erstellte Inhalte wie Rezensionen, Empfehlungen oder interaktive Linklisten direkt einspeisen können (Hermanns/Flory 1995).

Die Vernetzung der Marktteilnehmer untereinander, etwa durch Schaffung von Communities, sowie die IT-Integration der Unternehmen in den Marktplatz können zur Schaffung einer Systembindung genutzt werden. Bei Marktplätzen erwachsen technisch-ökonomische Wechselkosten durch die Anbindung der Informations- und Kommunikationssysteme, die die Entscheidung für eine bestimmte Systemarchitektur sowie gewisse Investitionen für Hard- undSoftware erfordert (Wirtz/Olderog/Mathieu
2003).

Sog. wissensbasierte Wechselkosten entstehen durch Mitarbeiterschulungen oder die Zeit, die ein Nutzer in das Verständnis des Systems investiert hat. Diese Kosten, die bei einem Marktplatzwechsel verloren wären, haben einen sog. Lock-in-Effekt zur Folge, den sich Marktplätze zur Bindung ihrer Kunden zunutze machen können.

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Interagieren
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Die Informationstechnologien ermöglichen eine wechselseitige Echtzeit–Kommunikation sowohl zwischen den Nutzern und dem Provider (Dialogmodell) als auch innerhalb der Gruppe der Teilnehmer (multilaterales Community-Modell). Die Community-Instrumente wie Newsgroups, Diskussionsforen, Chatrooms oder Weiterempfehlungssysteme ermöglichen, dass zwischen den Nutzern selbst ohne Einschaltung des Providers Interaktionen stattfinden können.

In virtuellen Gemeinschaften erfolgt ein reger Erfahrungsaustausch, der bei entsprechender Beobachtung durch den Betreiber wichtige Anhaltspunkte über die Kundenzufriedenheit und kritische
Ereignisse im Verlauf der Transaktion bereitstellt (Bauer et al. 2001).

Durch Hilfefunktionen, Avatare und Kontextmenüs zur Hilfe bei allen Schritten der Transaktionsabwicklung ist eine umfassende Online–Beratung erreichbar. Hotlines und Call Back-Buttons können zusätzlich eine persönliche Offline–Beratung im traditionellen Sinne sicherstellen. Hierbei erweist sich ein persönlicher Ansprechpartner für alle Probleme und alle Kontaktkanäle als kritischer Erfolgsfaktor. Dies kann durch die Einrichtung sog. Customer Interaction Center gewährleistet werden, in denen alle Informationen zu einem Kunden zentral zusammenlaufen. Dadurch kann der Anbieter dem Kunden einheitlich entgegentreten, gleich welchen Kommunikationskanal dieser wählt (Hettich/Hippner/Wilde 2000).
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Individualisieren
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Die Aufzeichnung und Auswertung von Kundeninformationen, die entweder durch ein dem Kunden nicht bewusstes Tracking (Beobachtung des Nutzungsverhaltens durch Cookies oder Logfile-Analysen) oder durch aktive Registrierung der Kunden gewonnen werden, sind die Grundlage zur Schaffung von Kundendatenbanken.

Das Ziel solcher Datenbanken besteht darin, individuelle Nutzerprofile zu erstellen und über die Zeit anzupassen, die eine automatische Identifikation des Kunden bei Besuch des EMP und folglich eine direkte Adressierung ermöglichen (Kollmann 2001).

Wichtig ist hier v.a. ein proaktiver Einsatz der Informationssysteme, um Handlungsabsichten des Kunden möglichst frühzeitig zu erkennen und mit geeigneten Maßnahmen darauf zu reagieren. So ist zu versuchen, möglichst früh potenziell Abwanderungswillige zu identifizieren. Dies geschieht z.B. anhand von Veränderungen ihres Interaktionsverhaltens wie der Rückgang von Anzahl und Wert der Bestellungen oder der Zunahme von Beschwerden (Hettich/Hippner/Wilde 2000, S. 1352).

Der Nutzen eines informationsbasierten One to One-Marketing für den Kunden ist vielfältig. So können individuelle Empfehlungen ausgesprochen oder sogar eine dynamische Personalisierung der Kommunikations- und Contentbereiche und der Gestaltung des Marktplatzauftrittes ermöglicht werden (Kollmann 2001). Auf diese Weise werden Kunden nicht mit unerwünschten Informationen belästigt.

Eine weitere Form der Individualisierung ist das Bereitstellen dynamischer Produktkataloge, die sich in Abhängigkeit von der Art, der Häufigkeit und dem Zyklus der Transaktion verändern und an die jeweiligen Produktbedarfe angepasst sind. Auf diese Weise sind eine kundenspezifische Vorselektion von Produktkategorien und spezifische Produktkonfigurationen möglich, die die Komplexität und damit die Suchkosten zusätzlich reduzieren. Im Idealfall entstehen personalisierte Sortimente und Webseiten, die laufend aktualisiert werden („my marketplace“).

Die Möglichkeit, den Marktplatz zu personalisieren, erzeugt ökonomische Wechselbarrieren in Form des Risikos, solch zugeschnittene Angebote und Services bei alternativen Providern nicht zu erhalten bzw. den Personalisierungsaufwand erneut erbringen zu müssen (Bauer/Hammerschmidt 2005). Gespeicherte Benutzerdaten und -profile können nicht zu einem anderen Anbieter transferiert werden.

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Exklusivieren
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Genutzt werden sollte die Chance, insbesondere die Beziehungen zu wertvollen, wichtigen Kunden zu pflegen. Nur eine abgestufte Kundenbetreuung entspricht dem Prinzip eines kundenwertgesteuerten Marketing, welches bessere Konditionen für bessere Kunden verlangt (Diller 2001). Dies kann durch Exklusivierung erreicht werden (Homburg/Sieben2000). Diese kann schon beim Zugang beginnen, wenn etwa Teilnehmern mit hohem Potential ein kostenfreier Zugang zum Marktplatz bzw. kostengünstige Software zur Anbindung der Systeme offeriert wird (Diller 2001).

Weitere Instrumente sind etwa Bonusprogramme (mengenabhängige Rabatte) oder Kundenstatusprogramme (exklusive Serviceleistungen bzw. exklusiver Contentzugang für bestimmte Gruppen). So kann registrierten Nutzern ein kostenloser Eintrag im Branchenregister angeboten werden. Rewardsysteme gewähren Intensivkäufern nachträgliche Preisnachlässe. Auch Kundenclubs, zu denen nur bestimmte Kunden Zutritt haben, sind evtl. verbunden mit Club-
Rabatten geeignete Mittel zur Exklusivierung.

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Lesen Sie in Kürze im dritten Teil des Leitfadens über die Instrumente im Beziehungsmarketing und wie Marktplätze diese am effektivsten eingesetzt werden können.
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