Fachartikel, 25.01.2007
Perspektive Mittelstand
Laterale Personalentwicklung
Wege zu mehr Produktivität und Mitarbeitermotivation
Ein globalisierter Wettbewerb, die demographische Entwicklung, zunehmender Fachkräftemangel – der Leistungsdruck auf Unternehmen und Mitarbeiter steigt. Um mit den steigenden Anforderungen Schritt halten zu können, bedarf es personalpolitischer Weichenstellungen. Laterale Personalentwicklung setzt genau dort an.
Laterale Personalentwicklung stellt nicht den Aufstieg in der Hierarchie, sondern lebenslange Beschäftigungsfähigkeit, individuelle Produktivität und Arbeitszufriedenheit in den Mittelpunkt. Maßnahmen zur lateralen Personalentwicklung werden in den nächsten Jahren ins Zentrum der Anstrengungen rücken müssen. Das liegt an der demografischen Entwicklung, dem zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und dem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb.

Was ist laterale Personalentwicklung?

Der Begriff „laterale Personalentwicklung“ ist neu, das Phänomen sicher nicht. Darunter sollen alle Maßnahmen verstanden werden,

::: die Lernfähigkeit, Flexibilität, berufliche Einsatzbreite und damit Beschäftigungsfähigkeit fördern, ohne den hierarchischen Aufstieg in den Mittelpunkt zu stellen und

::: die darüber hinaus der optimalen Abstimmung von Anforderungen der Tätigkeit und Stärken des Mitarbeiters dienen.

Warum laterale Personalentwicklung?

Es gibt verschiedene Gründe für die Notwendigkeit einer Personalentwicklung, deren primäre Zielgruppe nicht die „Pyramiden-Kletterer“ sondern die vielseitig einsetzbaren Wissensarbeiter sind:

(1) Die demografische Entwicklung überfordert die sozialen Sicherungssysteme und erzwingt eine längere Lebensarbeitszeit.

(2) Etwa ab 2010 wird es in Deutschland zu einem bedrohlichen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften kommen.

(3) Die Struktur mittlerer und großer Unternehmen verändert sich weiterhin. Der „Inlands-Anteil“ wird schlanker, die Hierarchien flacher.

(4) Bis zu 80% aller Berufstätigen in Deutschland geben an, dass sie ihre persönlichen Stärken in ihrer beruflichen Tätigkeit nur selten nutzen können.

Schauen wir uns diese Gründe ein wenig genauer an. Die demografische Entwicklung gefährdet die Systeme der sozialen Sicherung. Verschärfend kommt hinzu, dass die Einkommen in Hochlohnländern aufgrund der Globalisierung unter Druck geraten. Das wiederum wird die aktive Phase des Berufslebens zwangsläufig verlängern. Wenn der Gesetzgeber – wie inzwischen geschehen – eine längere Lebensarbeitszeit verordnet, dann sind vielleicht einige Probleme der Rentenfinanzierung entschärft. Offen bleibt jedoch die Frage, wie denn der motivierende und ökonomisch sinnvolle berufliche Einsatz älterer Arbeitnehmer gestaltet werden soll.

Unter (2) geht es um den zu erwartenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Schon heute deuten sich Engpässe an: So im letzten BDI-Mittelstandspanel (2006) sowie in aktuellen Mitteilungen des VDI (2006). Diese Mangel-Situation wird sich vermutlich weiter verschärfen. Es liegt nahe, die Defizite durch eine längere Lebensarbeitszeit auszugleichen. Praktisch stehen wir jedoch vor erheblichen Problemen, u.a. weil die Qualifikationen älterer Arbeitnehmer nur bedingt zu den Anforderungen neu entstehender Arbeitsplätze passen – auch aufgrund mangelnder Initiativen lateraler Personalentwicklung in der Vergangenheit.

Die unter (3) angesprochenen Strukturveränderungen in den Unternehmen sind nicht neu, haben aber durch Outsourcing und Offshoring neuen Schub erhalten. Die internationale Arbeitsteilung dünnt viele Belegschaften weiter aus und einfache Arbeitsplätze verschwinden. Anspruchsvolle Aufgaben im „Task Management“ nehmen eher zu, der Anteil der Stellen im „People Management“ nimmt jedoch eher ab. Wer also nur den hierarchischen Aufstieg anvisiert, könnte sich nach der nächsten Umorganisation zwischen den Stühlen wiederfinden.

Das unter (4) erwähnte Umfrage-Ergebnis, wonach bis zu 80% der Arbeitnehmer glauben, ihre persönlichen Stärken in der beruflichen Tätigkeit nur selten nutzen zu können, geht auf Befragungen der Gallup-Organisation zurück (vgl. Buckingham & Coffman, 2001). Nicht ganz so negativ ist das Bild, wenn man erfahrene Führungskräfte fragt, wieviel Prozent der Mitarbeiter generell nicht richtig eingesetzt sind: Meistens erhält man Schätzungen zwischen 10 und 30%.
Theoretisch sollte man erwarten, dass jeder Arbeitnehmer sich so lange auf dem Arbeitsmarkt bewegt, bis er das Gefühl hat, dass sich seine Stärken – zumindest teilweise – mit den Anforderungen der Tätigkeit decken. In der Praxis ist jedoch ein gewisser „Bewegungsmangel“ festzustellen, der allerdings seine Gründe hat.

Barrieren beruflicher Mobilität

Die vielleicht wichtigste Hürde ist die – auch heute noch tief verwurzelte – Überzeugung, wonach berufliche Entwicklung mit Aufstieg in der Hierarchie gleichzusetzen ist. Unbequeme Schritte zur Seite erscheinen wenig attraktiv.

Weiterhin zeigt die Erfahrung, dass viele Arbeitnehmer kein zutreffendes Bild ihrer persönlichen Stärken und Talente haben. Damit fehlen ihnen Suchrichtung und Kompass für die berufliche „Navigation“.

Eine weitere Hürde besteht darin, dass viele Arbeitnehmer nach langjähriger Tätigkeit in dem selben Arbeitsgebiet ein Einkommensniveau erreicht haben, das sich nur schwer in einem anderen Umfeld erzielen lässt. Das verständliche Festhalten am Besitzstand aber macht immobil.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass viele Arbeitnehmer die Entscheidung über ihren „richtigen“ Einsatz als eine Sache des Unternehmens und seiner Führungskräfte betrachten. Die Politik der Gewerkschaften hat das legitime Ziel, individuelle Arbeitsplätze zu sichern. Ein unerwünschter Nebeneffekt ist jedoch, dass in den Augen vieler Arbeitnehmer das Risiko obsoleter Kompetenzen und eingeschränkter Einsatzmöglichkeiten beim Arbeitgeber liegt.

Soweit die Barrieren lateraler Personalentwicklung. Aber gibt es auch Treiber? Wie können günstige Bedingungen aussehen?

Lebenslange Beschäftigungsfähigkeit – eine „mission possible“?

Günstige Bedingungen und Treiber können sein:

(1) Eine Personalentwicklungs-Philosophie und -Praxis, die die individuellen Talente berücksichtigt nach dem Motto „Career means realizing someone´s potential.“

(2) Eine Unternehmenskultur, die die Mitarbeiter in ehrgeizige Programme kontinuierlicher Verbesserung einbindet.

(3) Mitarbeiter, die persönliche Verantwortung für ihre Beschäftigungsfähigkeit übernehmen.

(4) Mitarbeiter, die ihre Talente und Stärken kennen und diese nutzen, um persönliche Bestleistungen zu erreichen und sich im Beruf weiter zu entwickeln.

Die im ersten Punkt angesprochene Führungskultur wird ausführlich in der Publikation von Buckingham und Coffman (2001) beschrieben. Danach lassen sich erfolgreiche Führungskräfte von folgendem Credo leiten: „Die Menschen sind weniger veränderbar, als wir glauben. Verschwende nicht deine Zeit mit dem Versuch, etwas hinzuzufügen, das die Natur nicht vorgesehen hat. Versuche herauszuholen, was in ihnen steckt. Das ist schwer genug.“ (S. 50)

Wenn ein Unternehmen, wie im zweiten Punkt erwähnt, eine ausgeprägte Leistungskultur besitzt, flankiert durch ehrgeizige Ziele und offenes Feedback, stimuliert dies auch die individuelle Entwicklung der Mitarbeiter. Unternehmen wie z.B. Toyota und General Electric haben es verstanden – jedes auf seine Weise – eine solche Kultur zu etablieren.

Der dritte Punkt – der Mitarbeiter übernimmt die Verantwortung für seine Beschäftigungsfähigkeit – ist wiederum ein Reizthema, wie oben schon angedeutet. Aufklärungsarbeit, aber auch handfeste Unterstützung von Seiten der Unternehmen, sind hier notwendig. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen spielen ebenfalls eine Rolle, denn die wünschenswerte Einstellung scheint auf deregulierten Arbeitsmärkten – wie z.B. in Dänemark oder auch den USA – ausgeprägter zu sein.

Die vierte Bedingung – der Mitarbeiter kennt seine Stärken – ist in der Praxis eher selten anzutreffen. Wenn man z.B. in Bewerbungsgesprächen nach Stärken fragt, erhält man meistens Standardantworten: „Ich kann mich schnell in neue Themen einarbeiten. Ich bin teamfähig. Ich kann gut organisieren.“ Letztlich ist dieses mangelnde Wissen nicht verwunderlich, denn in der Schule und auch noch im Beruf geht es meist um das Ausmerzen von Schwächen, wie auch schon Drucker bedauernd feststellte (2002).

Was lässt sich tun?

Ein konkretes Programm lateraler Personalentwicklung, das für alle Unternehmen gleichermaßen passt, kann es aus nahe liegenden Gründen nicht geben. Aber es lassen sich Methoden und Maßnahmen aufzeigen, die von Nutzen sein können. Die Methoden sind nicht neu, ihre konsequente Instrumentalisierung im Rahmen einer strategisch ausgerichteten lateralen Personalentwicklung wäre für viele Unternehmen jedoch eine Art Neuanfang.

Es lassen sich strukturelle und inhaltliche Ansätze unterscheiden. Die strukturellen können im Wesentlichen drei Schwerpunkte haben: Einmal die Überwindung tayloristischer Strukturen durch Maßnahmen integrativer Arbeitsgestaltung wie z.B. Job Enlargement, Job Enrichment und Job Redesign, auch bestimmt durch die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter. Zum anderen die Integration eines Großteils der Mitarbeiter in zielgerichtete Programme produkt- und prozessorientierter Verbesserung, unterstützt durch teamorientierte Ansätze, da das Lernen on-the-job durch Kommunikation im Team wirksam beschleunigt werden kann. Zum dritten ein Ansatz langzyklischer Job Rotation, gesteuert durch quantitative Ziele für Tätigkeitswechsel und unternehmensinterne Mobilität, unterstützt von Paten und Mentoren. Ein solches „Bewegungs-Programm“ verlangt eine sorgfältige Vorbereitung, denn mit anfänglichen Widerständen ist zu rechnen.

Inhaltliche und auf Weiterbildung gerichtete, allgemeine Ansätze lateraler Personalentwicklung könnten z.B. sein:

::: Kaufleute sollten sich technische Kenntnisse und Urteilsfähigkeit aneignen, so wie technisch Tätige sich kaufmännische und Marketing-Kenntnisse aneignen sollten. Für IT-Fachleute sind solide Branchenkenntnisse nützlich.

::: Fachleute aller Couleur sollten über Projektmanagement-Fähigkeiten verfügen. Auch wenn sie nicht in einer Projektleiter-Rolle sind, werden sie produktiver in Projekten mitarbeiten, wenn sie fähig sind, wichtige Themen aus der Management-Perspektive zu sehen und ihre Projektleiter zu unterstützen.

::: Ein gravierendes Kompetenz-Defizit im Management ist – allgemein gesprochen – Umsetzungsschwäche. Umsetzungsergebnisse stehen häufig in kläglichem Gegensatz zur ehrgeizigen Planung. Jeder Manager sollte die nötige Unterstützung erhalten, diese Kompetenz in seiner aktuellen Funktion weiter zu entwickeln.

::: Wer in transnational agierenden Unternehmen seinen Beitrag leisten will, wird die offensichtlichen und die subtilen Spielregeln anderer Kulturen lernen müssen.

::: Gutes Englisch ist mittlerweile in den meisten Unternehmen ein „Muss“.

::: Breite IT-Anwender-Kenntnisse sind für fast alle Arbeitnehmer wichtig und werden eher noch an Bedeutung gewinnen.

Ausblick

Der Ausblick auf die Zukunft von Arbeit und Wirtschaft in Deutschland lässt einige Fragen offen: Können sich unsere alternden Belegschaften erfolgreich den Herausforderungen an Innovation und Produktivität stellen? Ist die Mehrheit der Arbeitnehmer bereit, zur Sicherung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit auch Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen? Wie stark ist – jenseits aller Lippenbekenntnisse – das Interesse der Unternehmen, in die Employability ihrer Mitarbeiter zu investieren, wenn sie im Zweifelsfall die Möglichkeit haben, Wertschöpfung und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern? Welchen Beitrag wollen die Gewerkschaften leisten – außer Moral-Appellen und Pauschal-Forderungen nach Weiterbildung?

Die derzeitige gesellschaftliche und wirtschaftliche Konstellation erfordert einige neue Antworten. Allein mit den Rezepten von gestern werden wir nicht weit genug kommen.

Literatur

::: Buckingham, M. & Coffman, C.: Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln. Campus, 2001.

::: Buckingham, M. & Clifton, D.O.: Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt. Campus, 2002.

::: Bundesverband der Deutschen Industrie (Hg.): BDI-Mittelstandspanel: Ergebnisse der Online-Mittelstandsbefragung Herbst 2006. Exexcutive Summary. www.bdi.de.

::: Drucker, P. F.: Das Management der eigenen Stärken. In: Peter F. Drucker, Was ist Management? Econ, 2002, S.257-265.

::: Verein Deutscher Ingenieure (VDI): 22.000 Ingenieure fehlen. Pressemitteilung vom 7.12.2006.(www.vdi.de)

Der Autor, Dr. Eckhard Apenburg, Diplom-Psychologe, arbeitete mehr als zehn Jahre in Forschung und Lehre und danach 20 Jahre in der Industrie und ist derzeit als Berater tätig.
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