Fachartikel, 14.08.2006
Perspektive Mittelstand
Service-Organisation und Customer Care
„Die zweite Waschmaschine verkauft der Service-Techniker“
Globalisierung, sich immer mehr ähnelnde Produkte und Überkapazitäten führen in den meisten Branchen zu scharfem Wettbewerb unter den Anbietern und zu einer enormen Nachfragemacht der Kunden. An dieser Stelle wird die Qualität des Kundenservice (Customer Care) und somit die Service-Organisation zu einem zentralen Erfolgsfaktor!
Immer mehr Unternehmen jagen dieselben Kunden. Kundenbindungsprogramme sollten deshalb Hochkonjunktur haben. Die Realität sieht anders aus.

„Genau diese Investition haben wir vor – sobald sich die wirtschaftliche Situation gebessert hat.“ Solche Aussagen hört man von Unternehmen in europäischen Industriestaaten oft. Sie sind verständlich, zumindest teilweise: Unternehmen halten sich mit Investitionsausgaben zurück, solange keine Steigerung der Nachfrage auf Seite der Konsumenten besteht.

Im Bereich Customer Care oder Kundenservice gelten diese Überlegungen nicht: Der St. Galler Management-Berater Fredmund Malik nahm jüngst in der Handelszeitung Stellung zum Thema Shareholder Value und setzte sich dabei vehement für mehr Kundenorientierung ein. Letztlich ist der Wert eines Unternehmens und damit auch der Aktien ein Abbild der Zufriedenheit und nachhaltigen Entwicklung des Kundenstammes.

Wir leben in einer Kundenökonomie, die gekennzeichnet ist durch eine hohe Nachfragemacht der Kunden. Der Kunde bestimmt wo, wie und was er zu welchen Konditionen kaufen will. Die Anbieter stehen zunehmend im globalen Wettbewerb, sie jagen auf der ganzen Welt dieselben Kunden und wollen sie vielfach mit dem phantasielosen Preisargument („Geiz ist geil“) verführen. Damit bewegen sie sich in einem Teufelskreis. Durch tiefere Preise verringern sie ihre Investitionskraft und verbauen sich den Weg zu mehr Kundenorientierung und Innovation. Gerade in wirtschaftlich angespannteren Zeiten sollten Unternehmen deshalb in Massnahmen zur Kundenbindung und in den Kundenservice investieren – sonst laufen sie Gefahr, den Aufschwung nicht mehr zu erleben.

Mangelnder Kundenservice ist der Hauptgrund für die Abwanderung der Kunden. Beispielsweise durch eine Verbesserung der Dienstleistung rund um das Kernprodukt können Unternehmen Kundenverluste vermeiden. (Quelle: Vom Unternehmen zum Kundenunternehmen, Versus Verlag Zürich 2003)

Service als Wettbewerbsvorteil

Besseren Kundenservice als sein Mitbewerb zu bieten kann bereits ein Wettbewerbsvorteil sein.Wer jedoch seine Dienstleistungen als „Produkte“ zu verstehen weiss, kann sie beschreiben, messen und damit führen. Und er kann sie mit den physischen Produkten verbinden und so neue Kombinationen als Innovationen auf dem Markt positionieren.

Der Tankhersteller beispielsweise, der mit der Tankrevisionsfirma ein flexibles Outsourcing-Modell entwickelt, das letztlich die gewartete, störungsfreie Nutzung von Tankkapazitäten zu einem nutzungsabhängigen Preis anbietet, hat den ersten Schritt zur Produktinnovation in der Verbindung von Produkten und Dienstleistungen geschafft. Ein neues Geschäftsmodell ist entstanden, das sich auf ein umfassendes Kundenbedürfnis stützt. Eine mögliche Antwort auf die Frage: „What does your customer really want?“ Im zweiten Schritt wird sich dieser Unternehmer fragen: Welche Konsequenzen hat die Reorganisation unseres Angebots auf unsere Organisation und Mitarbeiter?

Blenden wir zurück in die Hochblüte der Industrialisierung. In einem Automobilwerk verlassen täglich mehrere Hundert Autos die Produktion. Jedes besteht aus Tausenden von Komponenten – keines der Autos ist mit einem anderen identisch. Die mengen-, zeit-, qualitäts- und kostengerechte Fertigung komplexer Erzeugnisse erfordert eine hohe Prozesskompetenz. Nur auf Basis genauer Beschreibungen ist es möglich, dass Fertigungs- und Montage-Prozesse wie ein Uhrwerk ablaufen.

Dagegen muten viele Abläufe bei Dienstleistungen noch sehr improvisiert an. Die Durchführung einer Preisaktion in einem Handelsunternehmen oder die Bearbeitung eines Kreditvorgangs bei einer Bank sind ebenfalls wiederholt auftretende Geschäftsprozesse. Trotzdem sind diese nicht so systematisiert und dokumentiert, dass sie quasi nach einer Prozessschablone industriell gefertigt werden können. Dabei können Informationen mit der heutigen Technologie wie in der industriellen Fertigung standardisiert, ausgewählt, verpackt, gelagert und verschickt werden. Die oben erwähnte Bank könnte so zur „Fabrik“ für Online-Hypotheken werden. Die Gewährung von Hypothekardarlehen als eine Art Informationsfliessband. An ihm werden Kreditanalysen, Antragsbewilligungen und Vertragsformulierungen montiert. Der Arbeitsprozess kann über verschiedene Orte und Kompetenzstufen verteilt sein. Manche Kundenkontakte finden über dezentrale Call Center statt. Andere Prozesse, wie die Kreditanalyse, sind teils automatisiert.

Gesamtkonzept im Kundenservice

Für die effiziente Produktion von Dienstleistungen müssen sich Unternehmen zu eigentlichen Service-Organisationen entwickeln. Dafür braucht es ein intelligentes und flexibles Gesamtkonzept, das Aspekte wie ISO, ITIL und andere Management-Konzepte berücksichtigt und Aspekte wie selektives Outsourcing, Self Services und Automatisierung integriert. Das Customer Care Concept beschreibt diese Service-Organisation mit fünf wesentlichen Kernkomponenten:

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1) Aufbau und Nutzung einer multichannelfähigen Kommunikation/Distribution…
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mit Einbindung der Service-Techniker und Aussendienstmitarbeiter sowie von Self Services über Web und Automatisierungsaspekte (e-Level). Der Internet-Kanal ermöglicht dem Kunden die Kontakt- und Servicemöglichkeiten rund um die Uhr.

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2) Etablierung und Nutzung eines Single Point of Contact (Single Point of Information)
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Alle im Kundenprozess eingebundenen Mitarbeitenden müssen über ein aktuelles, dynamisches und integriertes Kundenbild verfügen, in dem sämtliche Kontakte des Kunden mit dem Unternehmen abgebildet sind. Das Kundenwissen wird im Single Point of Contact/Single Point of Information gesammelt. Daraus können gezielte Massnahmen wie Marketing-Kampagnen angestossen oder auch Kundenbedürfnisse erkannt werden, die aus Service-Fällen abgeleitet werden. Zudem entsteht ein Kundenwissen, das es erlaubt den Kunden umfassender zu betreuen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Dinge zu tun. Denken Sie nur an die Erkenntnis der Waschmaschinenhersteller: „Die zweite Waschmaschine verkauft der Service-Techniker.“ Hier zeigt sich schön, wie ein Servicefall als Verkaufschance genutzt werden kann.

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3) Die Aufbauorganisation ist in Kompetenzstufen gegliedert
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Einzelne Kompetenzstufen lassen sich selektiv auslagern. Um jedes Kundenanliegen optimal betreuen zu können, sind verschiedene Kompetenzstufen erforderlich. Je tiefer ein Anliegen in die Unternehmung eindringt, desto mehr Kosten laufen auf. Ideale Service-Organisationen nach dem Customer Care Concept weisen üblicherweise drei Kompetenzstufen auf, vom 1st Level (viel Allgemeinwissen, hohe soziale Kompetenz) bis zum 3rd Level (Spezialwissen zu einem ganz bestimmten Fachgebiet). Den drei Kompetenzstufen ist ein so genannter E-Level vorgeschaltet. Auf diesem kommen Softwareprodukte zum Einsatz, die sowohl dem Kunden als auch dem Mitarbeiter in der Service-Organisation zu Gute kommen, indem sie Prozesse automatisieren oder unterstützen: Dem Kunden werden ausgefeilte Self-Service-Möglichkeiten zur Verfügung gestellt (Kunden geben ihre Anliegen übers Web ein und erhalten automatisch Antwort); Mitarbeiter greifen auf dieselbe Kompetenzbasis des E-Levels zu und können damit kompetent und konsistent beraten; eingehende E-Mails werden auf der Basis von semantischen Netzen im Kontext analysiert (Natural Language Understanding, NLU), an den geeigneten Mitarbeiter weitergeleitet oder – bei Standardfragen – direkt beantwortet; der E-Level bietet auch eine optimale Verwaltung der Kundenanliegen und stellt sicher, dass alle Anliegen innerhalb der geforderten Response-Zeit erfüllt werden.

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4) Konsequente Orientierung an den Kundenprozessen
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Dies geschieht in den Standard Operating Procedures (SOP), welche die wichtigsten Prozesse in der Service-Organisation beschreiben. Die Service Level Agreements (SLAs) beschreiben die Qualitätsstandards im Sinne fester Dienstleistungsvereinbarungen und die Messkriterien.
Diese SLAs manifestierten das Leistungsversprechen, das man gegenüber dem Kunden ständig erfüllen möchte. Sie sind deshalb ein elementarer Bestandteil der Kunden- und Marketingstrategie. Denn deren Erfüllung entscheidet darüber, ob ein Kunde ein Kauf- oder Service-Erlebnis als positiv oder negativ empfindet.

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5) Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)
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Über einen KVP optimiert die Service-Organisation ihre Dienstleistungen permanent und passt sie so den geforderten Service Levels und den sich verändernden Kundenbedürfnissen an. Über das Reporting werden die nachgelagerten Funktionen beeinflusst, beispielsweise die Produktentwicklung und -verbesserung. Auf diese Weise können Kundenanforderungen direkt in die Produkte und deren Produktion einfliessen. Dies ermöglicht individualisierte Produkte und Dienstleistungen.

Vielerorts finden Kundenfeedbacks zu einem Produkt nie oder nur vereinzelt den Weg zu den Produktionsleuten oder den Produkt- und Marketing-Managern. Ein einfaches Kundenanliegen oder eine simple Anpassung an einem Produkt werden so verschlampt und damit die Chance vertan, heutige und zukünftige Kunden glücklicher zu machen. Doch auch das ausgeklügeltste Management-Konzept ist wenig wert, wenn es von den Mitarbeitenden nicht gelebt wird. Im Bereich der Kundenpflege müssen sich die Mitarbeitenden durch eine ausgeprägte Dienstleistungsmentalität auszeichnen. Sie müssen kompetent und willens sein, sich umfassend für das Wohl der Kunden einzusetzen.

Bei Heineken Switzerland wurden zum Beispiel die dezentralen Kundenservicecenter (rund 15 Depots in der gesamten Schweiz) in einem zentralen Standort vereint. Damit konnten die Kundenprozesse vereinheitlicht werden. Die interne Effizienz wurde erhöht und der Kunde bekommt heute immer denselben und umfassenden Service. Um dieses Projekt erfolgreich umzusetzen war ein Change Management nötig. Die 700 Mitarbeitenden des Unternehmens mussten vollumfänglich ins Boot geholt werden. Denn eine Operation am „offenen Herzen“ Kunde kann die Überlebensfähigkeit des Unternehmens nachhaltig stärken, birgt aber auch Risiken.

Zu betonen ist, dass Ansätze wie das „Customer Care Concept“ nicht nur für Grossunternehmen, sondern gerade für kleine und mittlere Unternehmen mit viel Kundeninteraktion eine absolute Notwendigkeit sind. Zwar können lokal verankerte Mittelständler sehr viel mit Einsatz, Kundennähe und der genauen Kenntnis der Kunden und ihrer Bedürfnissen wettmachen, trotzdem bieten ausgefeilte Konzepte für Customer Care so viele systematische Vorteile, dass mittelständische Unternehmen Gefahr laufen, von global tätigen Anbietern bei den Kenntnissen der Kundenbedürfnisse und deren Erfüllung überholt zu werden. Eine stufenweise Einführung von leistungsfähigen Service-Organisationen und deren Einbindung in die Kernprozesse tut deshalb Not.

Auch beim Einsatz der Hilfsmittel müssen wir in der Kundenökonomie umdenken. Ein Blick auf die Software-Industrie zeigt das gut auf. Heute setzen die meisten Unternehmen auf Geschäftsanwendungen – so genannte ERP-Systeme – die ihre Beschaffung, Fertigung, Logistik und die Kontrolle dieser Prozesse unterstützen. Diese transaktionsorientierten Systeme sind in einer industrialisierten Welt nützlich. Wie aber sieht es in der Servicewirtschaft aus? Services entstehen in der Regel nicht aus einer Transaktion (Ware gegen Geld), sondern vielmehr aus einer Interaktion (ein Beratungsgespräch in einer Bank). Hier stossen die Instrumente aus dem Zeitalter der Industrialisierung an ihre Grenzen. Das lässt sich auch an so genannten „New Economy“-Unternehmen sehen. Ein Produkt auf einem Internet-Portal zu kaufen funktioniert heute reibungslos. Versuchen Sie aber einmal herauszufinden, ob sich der Vertrag bei Blacksocks.com nach einem Jahr automatisch verlängert oder ausläuft. Sie werden danach suchen müssen. Die Revolution im Servicebereich verlangt den Einsatz von neuen interaktionsorientierten Werkzeugen und Technologien.

Interaktionsorientierte Werkzeuge einsetzen

Ein gutes Beispiel für den Paradigmenwechsel von der Transaktions- zur Interaktionsorientierung liefert der Telekommunikationsanbieter Swisscom. Das Unternehmen hat im Customer Care Bereich vorgemacht, wie durch teilautomatisierte Prozesse in der Kundeninteraktion die Kundenzufriedenheit gesteigert werden kann. Tausende von E-Mails, die die Swisscom täglich von Kunden erhält, werden von einer intelligenten Software analysiert, klassifiziert, an die entsprechende Stelle weitergeleitet oder effizient beantwortet. Das System hat eine Trefferquote von über 80 Prozent. Im Vergleich zum vorherigen händischen Verfahren spart die Swisscom mit dieser Automatisierung enorm viel Zeit. Zusätzlich werden die Kundenberater durch diese Technologie unterstützt und entlastet. Die frei werdende Zeit kann für den direkten persönlichen Kundenkontakt eingesetzt werden. Swisscom bestätigt mit diesem Automatisierungsprojekt einen Return on Investment von weniger als sechs Monaten.

Die E-Mail Kommunikation ist auch bei KMU stark verbesserungswürdig. Viele über E-Mail vorgetragene Kundenanfragen verschwinden heute noch im berühmten „Schwarzen Loch“, auch in hoch kompetitiven Geschäftsfeldern: In einer aktuelle Studie des deutschen Marktforschers GfK wurden 700 Autovertragshändler mit einer Standardanfrage konfrontiert. Knapp die Hälfte der Anfragen wird nicht beantwortet, und was noch mehr erstaunt: Auch diejenigen Händler, deren Geschäftsmodell sehr stark oder ausschliesslich auf dem Online-Kanal basiert, schneiden schlecht ab.

Fazit

Globalisierung, sich immer mehr ähnelnde Produkte und Überkapazitäten bergen für Mittelstandsunternehmen Gefahren, aber auch grosse Chancen, sofern sie es schaffen ihr Geschäftsmodell neu zu definieren und ihre Produkte mit Dienstleistungen intelligent ergänzen. Wer den Schritt von der Transaktions- in die Interaktionswelt schafft, sich an einem umfassenden Gesamtkonzept im Servicebereich orientiert und sich so von seinem Mitbewerb abhebt, der kann sich vor dem Teufelskreis „Preisspirale” schützen und hat gute Karten die Kundenökonomie zu seinen Gunsten zu nutzen.
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