Die Übernahme der Verantwortung für eine Systementwicklung verlangt von den Unternehmen eine sekundäre Organisationsstruktur. Hier hat sich in der Vergangenheit das Projektmanagement als Organisationsform sehr gut bewährt. Das heutige Projektmanagement kann aber die tatsächliche technologische Verantwortung nicht übernehmen, da es sich fast ausschließlich auf das Steuern von Terminen, Kosten und Arbeitspaketen konzentriert.
Transparenz der technologischen Abhängigkeit
Systeme bestehen nicht aus einer einzigen Technologie, sondern entstehen erst aus der Kombination und dem Zusammenwirken verschiedener Technologien. Hierbei treten die folgenden Konflikte auf:
Aufgrund dieser Abhängigkeiten kann es passieren, dass alle am Prozess Beteiligten Recht haben, das System aber trotzdem nicht funktioniert. Auch führen die unterschiedlichen Begriffsklärungen zu langwierigen und wenig produktiven Diskussionen.
Die wesentliche Grundlage zur Wahrnehmung der Systemverantwortung besteht also darin, Transparenz über die Abhängigkeiten der Technologien zu schaffen. Diese Transparenz lässt sich gemeinsam mit Hilfe einer Technologieanalyse erarbeiten und in einer Systemabhängigkeitsmatrix darstellen.
Abgrenzung „rückwirkungsfrei“ / „nicht rückwirkungsfrei“
Aus der Transparenz der Abhängigkeiten zwischen den Technologien muss abgeleitet werden, welche Parameter einer Technologie rückwirkungsfrei sind und welche Parameter eine Rückwirkung auf andere Technologien haben. Dieser Schritt ist zwingend erforderlich, da sonst aufgrund der Vielfalt der Parameter schnell die erfolgsrelevante Sicht verloren gehen kann. Die rückwirkungsfreien Parameter können mit dem herkömmlichen Projektmanagement abgewickelt werden und bedürfen nur der termingerechten Rückmeldung ihres Erfüllungsgrades. Hierbei handelt es sich um typische Komponentenentwicklungen, die durch die Systemanforderungen nicht beeinflusst werden. Für die nicht rückwirkungsfreien Parameter der Technologie bedarf es einer eigenen Steuerung.
Bei nicht rückwirkungsfreien Technologien sind eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten zur Erfüllung der Systemspezifikation möglich. Hierbei sollte die Lösung bevorzugt werden, die dem zu erreichenden Effekt (Qualität, Funktion, Investition, Kosten, Termin, etc.) am besten dient.
Gerade bei der Abstimmung hinsichtlich alternativer Lösungsmöglichkeiten ist eine neutrale Systemverantwortung zwingend erforderlich. Da die einzelnen Technologieverantwortlichen die Lösungsvielfalt nicht aus ihrer Perspektive erkennen und bewerten können, muss die Systemverantwortung hier nicht nur die Bewertung der Lösungen, sondern auch das Erarbeiten der Lösungsvarianten als ihren Aufgabenschwerpunkt verstehen.
Iterativer Abwicklungsprozess
Da bei der Abwicklung von Innovationsvorhaben sich zum einen die Rahmenparameter und zum anderen die Technologieparameter ändern, muss die Technologieverantwortung im Sinne eines kleinen Regelkreises funktionieren. Das heißt, bei einer Veränderung eines nicht rückwirkungsfreien Parameters muss das bestehende Optimum auf ein sich neu ergebendes Optimum hin überprüft werden. Dies verlangt vom Systemverantwortlichen die Fähigkeit, ständig bereits gefundene Lösungen wieder in Frage zu stellen, ohne dabei die involvierten Wissens- und Entscheidungsträger zu verlieren.
Der Systemverantwortliche muss daher seinen Lösungsvorrat kontinuierlich überarbeiten, das richtige Optimum finden und die Machbarkeit an den Prozessmöglichkeiten spiegeln. Daraus ergibt sich die Anforderung an den Systemverantwortlichen, einen iterativen Abstimmungsprozess zu beherrschen. Da ein solcher Abwicklungsprozess nicht einem existierenden definierten Unternehmensprozess entspricht, muss eine Systemverantwortung durch das Management legitimiert werden. Eine Systemverantwortung, welche einen iterativen Abwicklungsprozess erfolgreich steuern soll, benötigt daher immer auch einen Macht-Promotor in der Organisation.
Systemverantwortung im Spannungsfeld der Organisation
Da sich Systemverantwortung immer über Abteilungs- und Technologiegrenzen hinaus bewegt und ständig bereits gefundene Lösungen in Frage stellen muss, ist diese Funktion heute in den meisten Unternehmen nicht vorhanden. Systemverantwortliche gelten leider eher als Querulanten und nicht als Querdenker. Eine feste Installation eines Systemverantwortlichen im Sinne einer Unternehmensfunktion macht nur in den Unternehmen einen Sinn, die über ein ausreichendes Geschäft zur Systeminnovation verfügen. Ansonsten bietet sich an, auf die temporäre Nutzung externer Technologie- und Systemexperten zurückzugreifen.