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Fachartikel, 03.01.2012
Unternehmensentwicklung
Quo vadis Mittelstand?
Viele mittelständische Betriebe haben sich im zurückliegenden Jahrzehnt zu High-Tech- und international agierenden Unternehmen entwickelt – ohne dass sich ihre Unternehmens- und Führungskultur merklich wandelte. Das entpuppt sich zunehmend als Hemmschuh für ihre weitere Entwicklung.
Freitagnachmittag, in der weihnachtlich geschmückten Kantine eines mittelständischen Maschinenbauers in Baden-Württemberg. Fast 600 Augenpaare blicken zum Rednerpult. Hinter ihm steht der schon stark ergraute Firmeninhaber und lässt in seiner Rede anlässlich der Weihnachtsfeier die Entwicklung seines Unternehmens in den letzten Jahren Revue passieren.

„Wenn ich in den Saal schaue“, stellt er fest, „dann sehe ich, wie viel sich im letzten Jahrzehnt geändert hat.“ „Vor zehn Jahren“, fährt der Firmeninhaber nach einer Atempause fort, „waren die meisten Mitarbeiter Facharbeiter. Heute sind über zwei Drittel Akademiker. Vor zehn Jahren arbeiteten für unser Unternehmen nur wenige Frauen – vorwiegend als Schreibkräfte und Kantinenpersonal. Und heute sind über ein Viertel der Mitarbeiter Frauen – und zwar hochqualifizierte. Und vor zehn Jahren sprach bei uns kaum einer Englisch. Und heute? Heute sprechen die meisten von uns nicht nur Englisch, sondern viele sogar fließend zwei, drei Fremdsprachen.“ „Das zeigt mir, wie stark sich unser Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt verändert hat“, sagt er dann. „Und wie viel sich in den kommenden Jahren noch ändern wird“, ergänzt er, während er zu seinem Sohn blickt, der vor einem halben Jahr in die Firmenleitung eingetreten ist.

Auch die Belegschaft hat sich gewandelt

Eine ähnliche Rede könnten viele Inhaber mittelständischer Betriebe halten. Denn auch für ihre Betriebe gilt: Sie haben sich von handwerklichen Produzenten mit geringer Fertigungstiefe und Produktkomplexität in High-Tech-Unternehmen verwandelt. Und während sie vor zehn, fünfzehn Jahren noch vorwiegend für den deutschen Markt (und eventuell einige europäische Nachbarstaaten) produzierten, vertreiben sie heute ihre Produkte weltweit. Doch nicht nur dies. Sie lassen zudem einen großen Teil von ihnen im Ausland produzieren. Und in Deutschland? Hier findet vor allem die Entwicklung neuer Produkte statt. Und hier werden noch die Maschinen und Anlagen produziert, deren Fertigung Spitzen-Know-how erfordert.

Aufgrund dieser Entwicklung hat sich auch die Belegschaft der Betriebe gewandelt. Sie wurde nicht nur internationaler – lässt man die Gastarbeiter außer Acht, die vor zehn Jahren in den Produktionshallen vieler Mittelständler ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie wurde auch weiblicher. Und: Sie ist höher qualifiziert als vor zehn, fünfzehn Jahren.

(Führungs-)Kultur hinkt der Entwicklung hinterher


Diese Veränderungsprozesse vollzogen sich bei den meisten Mittelständlern nicht aufgrund einer definierten Strategie. Sie reagierten vielmehr – was eine typische Stärke des Mittelstands ist – ganz pragmatisch auf die neuen Markterfordernisse. Was notwendig war oder erschien, wurde getan. Mit der Konsequenz, dass die meisten Mittelständler heute im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt sind. Auch die technologischen Herausforderungen haben sie gemeistert. Sie nutzten sozusagen die Chancen, die sich aus der Globalisierung und dem technischen Fortschritt ergaben, und entwickelten sich vielfach zu „Hidden Champions in der Provinz“, die in ihrem Marktsegment oft sogar zu den Weltmarktführern zählen. Was jedoch vielfach nicht mit der Entwicklung Schritt hielt, war die Organisationsstruktur und (Führungs-)Kultur in den Unternehmen.

Das sei an einigen Beispielen illustriert. Der eingangs erwähnte Maschinenbauer stellte in den zurückliegenden Jahren immer wieder fest: Es gelingt uns zwar, hochqualifizierte Nachwuchskräfte, die nicht aus Baden-Württemberg kommen, als Mitarbeiter zu gewinnen. Doch nach zwei, drei Jahren kehren diese unserem Unternehmen oft wieder den Rücken. Denn sie schlagen in unserem Betrieb keine Wurzeln. Und ihre Familien? Sie werden in der „schwäbischen Provinz“ nicht heimisch. Denn überspitzt formuliert ist und bleibt in unserem Betrieb und im „Ländle“ jeder ein Exot, zu dessen Leibspeisen nicht „Spätzle mit Linsen“ zählen – ganz gleich, ob er aus Hamburg oder Berlin, Spanien oder Tschechien kommt.

Jede „Stärke“ hat zwei Seiten

Hinzu kommen weitere Faktoren, die jungen Leuten oft die Arbeit bei Mittelständlern verleiden. Anfangs sind sie meist davon begeistert, dass bei Mittelständlern in der Regel hierarchiefreier kommuniziert und vieles schneller entschieden wird als in Konzernen. Doch nach einiger Zeit nehmen sie dieses Plus vielfach eher als Minus wahr. Zum Beispiel, wenn sie registrieren, das Vieles, was gestern noch galt, am nächsten Tag schon nicht mehr gilt, weil es sich „der Chef“ inzwischen wieder anders überlegt hat.  Oder weil sie die Erfahrung machen: Formal wird mir zwar als Führungskraft oder Projektleiter viel Verantwortung übertragen. Doch faktisch sind meine Entscheidungsbefugnisse begrenzt. Immer wieder „regieren“ die Firmeninhaber und „altgedienten Fürsten“ in meinen Bereich hinein und geben zum Beispiel meinen Mitarbeitern irgendwelche Anweisungen. Mit der Konsequenz, dass meine Autorität zunehmend schrumpft, weil meine Mitarbeiter insgeheim denken „Letztendlich hat der ‚Mayer’ doch nichts zu sagen.“

Registrieren dies die Nachwuchskräfte, dann sinkt ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Die Folge: Sie sind immer weniger bereit, sich für dieses so stark zu engagieren, wie dies speziell vom Führungspersonal bei Mittelständlern – aufgrund des Arbeitsethos der Top-Entscheider – oft unausgesprochen erwartet wird: rund um die Uhr. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nachwuchskräfte zugleich registrieren: Unter meiner 60- oder gar 70-Stunden-Woche leidet meine Lebensqualität. Ich bin permanent „kaputt“ und weil ich so wenig Freizeit habe, gelingt es mir auch nicht, mich vor Ort zu integrieren.

Die Folge: Die Nachwuchskräfte denken irgendwann – eigeninitiativ oder angeregt durch ihren Lebenspartner – über einen Arbeitgeberwechsel nach. Oder sie „unterwerfen“ sich der herrschenden Unternehmenskultur, weil sie merken: Dann lebe ich stressfreier. Das heißt, von ihnen gehen keine Veränderungsimpulse mehr aus.

Die (Führungs-)Kultur muss sich entwickeln


In unserem Unternehmen besteht auf der strukturellen und der kulturellen Ebene ein Entwicklungsbedarf – zumindest wenn wir den Erfolgs- und Wachstumskurs der zurückliegenden Jahre fortsetzen möchten. Das haben inzwischen viele Mittelständler erkannt – auch weil sie zunehmend die Auswirkungen des Fachkräftemangels spüren.

Hinzu kommt: Sie haben inzwischen oft eine Größe erreicht, in der es nicht mehr genügt, schnell und flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren. Die Entwicklung des Unternehmens und seiner Kompetenz muss gezielt forciert werden. Sie haben zudem eine Größe erreicht, bei der es nicht mehr dem Belieben der einzelnen Führungskräfte überlassen werden kann, wie sie ihre Mitarbeiter führen. Es muss sich eine einheitliche Führungskultur im Unternehmen entwickeln – und zwar eine Führungskultur, in der Nachwuchskräfte, von denen neue Impulse ausgehen, gehört und (von oben) gezielt gefördert werden. Sonst stagniert das Gesamtsystem, weil in ihm – wie bei vielen Mittelständlern – zwar ein individuelles, aber kein kollektives Lernen erfolgt.

Erkannt haben das viele Mittelständler, weshalb sie heute mehr Zeit und Energie als früher in die Organisationsentwicklung investieren; auch ihr Engagement in Sachen Personal- und Führungskräfteentwicklung haben sie erhöht. Dabei kämpfen jedoch viele gerade kleinere Mittelständler mit dem Problem, dass sie keine Experten in Sachen Personal- und Organisationsentwicklung in ihren Reihen haben.

Mittelstand braucht passgenaue Lösungen

Entsprechend hilflos sind sie oft, wenn sie vor der Frage stehen: Wie können wir einerseits die (Führungs-)Kultur in unserer Organisation wie gewünscht entwickeln und andererseits unsere typischen Stärken als Mittelständler bewahren?

Eine Standardantwort auf diese Frage gibt es nicht – nicht nur, weil die Mittelständler in verschiedenen Märkten agieren, sondern auch, weil sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Historie auch teilweise verschiedene Stärken haben. Klar ist jedoch: Die Lösungen dürfen keine abgespeckten Varianten der Personal- und Organisationsentwicklungsprogramme der Konzerne sein. Denn diese berücksichtigen die Spezifika des Mittelstandes nicht.
ZUM AUTOR
Über Hubert Hölzl
Hölzl & Partner
Hubert Hölzl ist Diplom-Betriebswirt (FH) und Inhaber des auf den Mittelstand spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner.
Hölzl & Partner
Motzacher Weg 6
88131 Lindau

+49-8382-5042814
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