VOLLTEXTSUCHE
Kolumne
Alles was Recht ist, 08.11.2011
Leadership-Essay
Führen kraft künstlicher Intelligenz?
Wer meint, wie in einem neuen Essay thematisiert, digitale Tools und künstliche Intelligenz könnten künftig zentrale Leadership-Erfolgsfaktoren sein, verkennt das Wesen von Führung und die wahren Herausforderungen in einer immer stärker digitalisierten, virtualisierten und vernetzten Arbeits- und Wirtschaftswelt.

Begeisterung pur. Unter anderem sein Essay „Künstliche Intelligenz koordiniert erweitertes Wissensmanagement und wird zum ‚Cloud Braining’“ verschaffte einem Uniabsolventen Eintritt in den Kreis der letzten 10 Kandidaten eines Nachwuchstalent-Wettbewerbes einer der internationalen Top 3 Unternehmensberatungen. Darin beschreibt er seine Vision eines neuen Leaderships unter extensiver Nutzung moderner Technologien bis hin zu künstlicher Intelligenz.

Gespannt findet man darin im Einstieg folgenden Gedankenansatz: „Eine durch verschiedenste Informationsquellen gefütterte, zu jeder Zeit und an jedem Ort abrufbare Informationswolke wird dabei die Geschicke lenken und dem Führungsteam helfen, intuitiv den Überblick zu behalten. In der Informationswolke arbeitet der Mitarbeiterstab an von der Führung delegierten Projekten gemeinsam, zeitgleich und international mit extern hinzugezogenen Experten an Problemen. Die künstliche Intelligenz hat back-up-Funktionen, Monitoring, Koordination, Controlling und Fortschrittsanalyse inne und der CEO behält über die Wolke einen ständigen Überblick der Projekte. Diese Informationswolke wird ein lernendes System darstellen, dessen Effizienz von der Nutzungshäufigkeit des Entscheidungsträgers abhängen wird.“ Gegen Ende münden umfangreiche Ausführungen zu technischen Innovationen und multimedialer Vernetzung in die Conclusio: „Der Erfolg der Führung wird determiniert werden durch schnelle, maßgeschneiderte und ständige Verfügbarkeit des gesamten Unternehmenswissens, einer koordinierenden künstlichen Intelligenz und externer objektiver Relativierung – dies wird als kombinierte Wissensbasis zB ‚cloud braining’ genannt werden. Der Führungsansatz wird dadurch intuitiver gelebt werden können und nach effizienten, die Einfachheit bevorzugenden und mit neuesten Technologien vertrauten Leadern rufen. Nicht mehr das Führungsverhalten wird die Technologie prägen – die Technologie als Rahmenbedingung und deren effiziente Nutzung wird zum immanenten Erfolgsfaktor für die Führung.“

Schreck lass nach. Wer prämiert solch ein unsinniges und vielfach schon begrifflich widersprüchliches Wirrwar und sieht möglicherweise darin einen visionären Nutzen für die Unternehmensführung der Zukunft? Hier werden, gespickt mit modernen Buzz-Words, ganz grundlegende Begrifflichkeiten und Zusammenhänge in erschreckender Weise verkannt.

Die Welt ist bereits voll von zusammenhanglosen Informationen. Deren Verfügbarkeit ist keine Frage mehr. Vielmehr kämpfen wir inzwischen vielerorts gegen die Vermüllung mit unqualifizierten Informationen und diskutieren, wie aktuell bei den Entwicklungen von Facebook & Co. über datenschutzrechtliche Fragen und Grenzen. Informationen sind an sich damit eher ein Problem und nicht die Lösung, um die es in dem angesprochenen Essay geht. Soweit hier von Wissen gesprochen wird, geht es zunächst um die Aufbereitung, Organisation und Strukturierung von Wissen. Schön. Aber auch Wissen an sich ist nutzlos, wenn es ohne Erkenntnis bleibt. Der Transfer von Wissen in Nutzen braucht aber die Kompetenz zu unterscheiden, welcher Informationsstand für die Lösung eines Problems relevant ist. Soweit der Autor glaubt, dies durch „perfekte Programmierung“ oder Algorithmen erreichen zu können, irrt er ebenso, wie er glaubt, technologische Datenlösungen ermöglichten einen intuitiven Führungsansatz.

Um Information in Wissen und Wissen in Nutzen zu transferieren braucht es künftig vor allem drei Fähigkeiten, die keine digitale Software ersetzen kann: Die Fähigkeit der Bewertung von Information in relevantem Kontext, die Einordnung in größere Zusammenhänge und ein übergeordnetes Ganzes und die unternehmerische Erschaffung und Kreation völlig neuer Möglichkeiten und Nutzenanwendungen.

Um künftig Chancen vor dem Hintergrund gleichzeitig vieler Risiken im neuen Kontext zu ergreifen, braucht es künftig vor allem "Unternehmer". Das sind keine Führungskräfte, die vorhandenes Wissen – mit oder ohne technologische Hilfe - strukturieren und umsetzen oder sich gar von Technologien führen lassen, sondern Menschen, die mit allem Risiko und existentiellen Einsatz intuitiv mit einer neuen Idee eine Wette auf die Zukunft abschließen, in der Hoffnung und im Glauben, dass sie irgendwann eine Resonanz im Markt und diese zu wirtschaftlichem Erfolg findet.

Zur Klarstellung: Vernetzung wird durch IT beschleunigt, aber nicht erst gemacht – und weder ein IT-Turbo noch ein „Cloud Brain“ bedingen Unternehmenserfolg in der Zukunft.

Es ist die Kultur, mit der wir begreifen, was Wertschöpfung in einer hochvernetzten und damit sehr komplexen, interdependenten Welt bedeutet und welches die Erfolgsfaktoren dafür sind. Vernetzung führt zwangsläufig zu überraschenden, nicht linearen Prozessen, welche gerade jenen Innovationen und neue Marktchancen jenseits bisheriger Logiken eröffnen, die in der Lage sind, daraus Neues und Chancen zu kreieren. Eine der Hauptaufgaben von Führung wird es sein, neue Arbeitsformen und Organisationsmuster zu finden, die Menschen ganz unterschiedlicher „Programmierung“ vernetzt Werte schöpfen lässt – in einer Arbeitswelt, die „analoge Natives“ und „digitale Natives“ integriert. Die einen müssen das Agieren in offenen Arbeitswelten lernen, die anderen, sich einer Mindesthierarchie mit gewissen Spielregeln unterzuordnen, ohne die Führung und Orientierung nicht funktioniert. Des Weiteren müssen an der analogen, eher linearen Welt orientierte Rechtsstrukturen mit klaren Spielregeln geschaffen werden, die dafür Sorge tragen, dass die digitale, virtuelle Welt von morgen nicht de facto zum rechtsfreien Raum wird.

ZUM KOLUMNIST
Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
WEITERE KOLUMNEN
Prof. Dr. Christoph Schließmann
Das Tamagotchi-Phänomen
Was ein Hype um Facebook! Und einen Tag nach dem Börsengang waren alle enttäuscht ob der flauen Performance. Alle? Nein, nur die, die wieder mal glaubten, ... mehr
Bedenklicher Trend zur Selbst-Juristerei: „Jus-Yourself“ nicht zu empfehlen“ Überhebliche Branchengrößen: Beratungsresistent - und schließlich pleite Gerangel wegen „Käse“: Media Markt bremst sich selbst aus
alle Beiträge dieses Autors
KOLUMNIST
Kolumnist
Prof. Dr. Christoph
Schließmann
zur Kolumne
Anzeige
BRANCHENVERZEICHNIS
Branchenverzeichnis
Kostenlose Corporate Showrooms inklusive Pressefach
Kostenloser Online-Dienst mit hochwertigen Corporate Showrooms (Microsites) - jetzt recherchieren und eintragen! Weitere Infos/kostenlos eintragen
Anzeige
NEWS/ARTIKEL/INTERVIEWS
Erneuerbare Energien
Fast 40 Prozent des Stroms aus Windkraft, Photovoltaik und Biogas
NEWS +++ Die Windkraft bleibt weiter unter den regenerativen Energien wichtigster Stromlieferant in ... mehr
Unternehmensentwicklung
Die Unternehmenskultur gezielt entwickeln
ARTIKEL +++ Viele Top-Manager befassen sich ungern mit dem Thema Unternehmenskultur. Dabei hat die ... mehr
Intuition
Der Geistesblitz im richtigen Moment
INTERVIEW +++ Intuition ist für viele Menschen schwer greifbar und doch im Business ein unverzichtbarer Impuls, ... mehr
PRESSEPORTAL
Presseportal
Presseforum Mittelstand - das kostenlose Presseportal
Kostenfreier Pressedienst für Unternehmen und Agenturen mit digitalen Pressefächern für integrierte, professionelle Online-Pressearbeit zum Presseportal
BUSINESS-SERVICES
© novo per motio KG