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Kolumne
Alles was Recht ist, 26.01.2012
Überhebliche Branchengrößen
Beratungsresistent - und schließlich pleite
Kodak und Schlecker: Aktuelle Beispiele für Unternehmen, denen der Status Quo über alles ging und in denen man sich schlicht nicht vorstellen konnte und wollte, dass sich die Welt um sie herum massiv und rasch veränderte. Man ruhte sich auf Erfolgen und Geschäftsmodellen der Vergangenheit aus und glaubte, sie hätten für immer Gültigkeit.
Kodak war ein Branchenprimus. War, denn das war in den Achtzigern…. Die Nummer 1 weltweit im Film – das ist vielleicht bekannt. Aber auch führender analog Klein-Kamerahersteller. Wussten Sie aber, dass Kodak der Pionier im Bereich der Digitalkameras war und bereits 1986 mit Kameras bis zu 2 Mio. Pixel aufwartete? Dazu die beste Software am Markt für das image processing hatte, es aber dennoch nie schaffte mit Kameras Geld zu verdienen aber auch nichts in deren Weiterentwicklung investierte? Wussten Sie, dass sein CEO George M. C. Fisher 1993 vorschlug, das Unternehmen vom Produkt Film hin zum modernsten weltweiten Kamerahersteller zu wandeln, ähnlich wie Andy Grove Intel vom Speichermedienhersteller zum Prozessorgiganten entwickelte? Kaum, denn Fisher wurde dafür kurze Zeit später gegangen und die visionäre Strategie ad acta gelegt. Kodak konnte sich vom sterbenden Film nicht lösen und sich keine andere Branchenlogik als Film vorstellen. Selbst Käufern von Digitalkameras mutete man zu, zusätzlich zur Kamera einen Transponder zu kaufen, bei dem die digitalen Bilddaten wieder auf Negative übersetzt wurden, die man dann im Fotogeschäft in Papierbilder entwickeln lassen konnte, nur um den Firm und Filmepapierabsatz aufrecht zu erhalten.

Der Mut konsequent loszulassen und moderne, zukunftsorientierte Wege zu beschreiten und sich klar zu positionieren, fehlte. Teuer, umständlich und völlig kundenfern. Die Quittung kam. Die Nr. 1 im Film ist heute Fujitsu, im Kameramassengeschäft Sony & Co. Kodak? Who the hell is Kodak? Ach pleite!

Ein interessantes Geschäftspotential blieb ungenutzt, weil man nicht in der Lage war, über die eingefahrene, lemmingartige Branchenlogik hinaus zudenken und Versuche in unbekannte Richtung zu marschieren, abgewehrte. Die Folge solcher Weltsicht ganz generell: Hart umkämpfte rote Ozeane, weil alle dieselbe Brille tragen. Um dort zu überleben oder den Markt anzuführen, muss man mehr bieten als der Wettbewerb… vor allem mehr an Kundennutzen.

Zu wenig Kundennutzen und dazu ein miserables Image hatte auch Schlecker. Auch Schlecker hat sich nicht der gebotenen Wandlung gestellt. Die Pionierzeit der Drogeriesupermärkte war in den  70er- und 80er-Jahre. 1975 eröffnet vom gelernten Metzger Anton Schlecker war das Unternehmen erfolgsverwöhnt. Schlecker verdrängte die Tante-Emma-Drogisten und wuchs rasant mit einer enormen Marktabdeckungs- und Versorgungsdichte. Bereits 1977 gab es rund 100 weitere Filialen in Süddeutschland. Mitte der 90er ist Schlecker Marktführer und expandiert ins Ausland. 2007 ist das Unternehmen auf rund 14.000 Läden weltweit angewachsen. Dann blieb alles beim Alten.

Die Wettbewerber kamen nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern in den 90ern haben auch Discounter und  Supermärkte das wachsende und lukrative Geschäft mit den Drogeriewaren entdeckt und ein dichtes Filialnetz vor allem in den Innenstädten aufgebaut. Sie bieten schönere und kundenfreundlichere Läden, bessere Sortimente, oft bessere Preise, mehr Kundenorientierung und gehen – vor allem dm unter Götz Werner – mit dem wertvollen Mitarbeiterpotential sozialkompetenter um. Mit Bespitzelung und Einschüchterung von Mitarbeitern machen sie keine Schlagzeilen. Schleckers Image ist zum Davonlaufen.

Die Probleme von Schlecker sind kein Markt-Wettbewerbsproblem, denn der Drogerie-Markt wächst seit Jahren kontinuierlich. Wettbewerber wie dm, Müller, Rossmann haben Schlecker längst links überholt, legen konstant gute Ergebnisse vor und werden von den Lieferanten und Markenartiklern bevorzugt behandelt.

Der 67-jährige Firmenpatriarch – geschätztes Vermögen 3 Mrd. Euro - kann nicht loslassen. Er verpasst den notwenigen Wandel auf massive Umfeldveränderungen strategisch notwendige Antworten und Kursänderungen zu finden. Klassisches Syndrom: Erst als der Schmerz besonders groß und die Zahlen im freien Fall und nach und nach tausende Läden geschlossen werden müssen, wird über die Kinder Lars und Meike Schlecker eine neue Strategie und Kultur versucht umzusetzen. Doch das patriarchalisch-autokratisch geführte Unternehmen ist wie ein Supertanker – der hat keinen Wendekreis wie ein Sportboot. Die Kursänderung braucht lange und kommt zu spät. Auch ein geplantes Investment von zu lesenden 230 Mio. Euro zur Modernisierung der Filialen reichen nicht, die Kunden schnell genug zu Schlecker zurückholen.

Dazu kommen neue Managementfehler. Geboren aus operativem Aktionismus ohne strategische Basis: Mit dem neuen Slogan "For You Vor Ort" sollte ein modernes, offenes Image geschaffen werden. Doch genau das war Öl ins Feuer. Die Klientel, vorwiegend eine weniger den Anglizismen zugewandte Zielgruppe, empört sich im Internet und schrumpft planwidrig weiter. Dilettantisches Management. Keine Strategie. Aus einer Schwalbe wird noch kein Sommer, schon gar nicht, wenn die Schwalbe nur ein Spatz ist! Die allermeisten der noch rund 7300 Märkte in Deutschland sind kaum mehr zeitgemäß. So wirken billig, wenig einladend. Da kann der Kunde das „Persil“ besser im Internet bestellen. Endstation Pleite!

Schlecker soll nun in einer Planinsolvenz saniert, die meisten der rund 30.000 Arbeitsplätze und 7300 deutschen Filialen erhalten bleiben. Bei einer „geplanten Insolvenz" muss der Antrag auf Insolvenz beim zuständigen Amtsgericht direkt mit einem Vorschlag für ein Insolvenzplanverfahren und einem bereits ausgearbeiteten Insolvenzplan verbunden werden. Meist wird ein solches Verfahren von einem Sanierer begleitet. Dann müssen die Gläubiger über den ausgearbeiteten Insolvenzplan entscheiden. Die alte Geschäftsführung bleibt bei der Planinsolvenz im Amt. Der bestellte Insolvenzverwalter tritt nur beratend auf. Im Gegensatz zur bekannteren Regelinsolvenz wird das Unternehmen nicht abgewickelt, um Liquidität zur Befriedigung von Gläubiger zu erhalten. Vielmehr soll es gesund geschrumpft und neu ausgerichtet werden.

Ob der Turnaround gelingt, hängt von den Gesellschaftern des Unternehmens, also der Schlecker-Familie, ab. Diese können nicht zu Maßnahmen jenseits der bestehenden Rechtsstrukturen und Pflichten gezwungen werden, da die Rechtsform des Unternehmens in der Planinsolvenz bestehen bleibt. So kann die Familie den Verkauf – sollte es für die Läden überhaupt Käufer geben - oder z.B. eine Kapitalerhöhung verweigern. Nun, wenigstens jetzt sollte man sich den Mitarbeitern und Arbeitsplätzen zuliebe offen und investitionsfreudig zeigen, als Wiedergutmachung – mit 3 Mrd.

Schauen wir mal…
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Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
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