Gesunde Führung ist defizit- UND ressourcenorientiert
Bei allen Vorteilen der Sach- und Kennzahlenorientierung oder größerer Führungsspannen ist das berühmte Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn sich Gesundheits- und Motivationsdefizite in erhöhten Abwesenheitszeiten und nachlassender Performance bis hin zu Fluktuation und nachlassender Arbeitgeberattraktivität äußern.
Ganz wichtig: Gesunde Führung muss beides leisten, weil Menschen unterschiedlich sind und ganz individuelle persönliche und gesundheitliche Stärken, Schwächen und Potenziale mitbringen, die nicht zur Gänze seitens des Betriebes beeinflusst werden können und sollen. Schließlich gibt es Viren, Bakterien und Erbkrankheiten und es besteht die Pflicht des Arbeitgebers, damit moralisch und faktisch angemessen umzugehen.
Das Ergebnis von zu viel Einmischung bzw. „Wissensdrang“ im Bereich der individuellen Black Box Gesundheit sind zahlreiche Datenskandale auch namhafter Arbeitgeber rund um das Thema Gesundheit und Krankheit (Stichwort: Diagnose, Datenschutz). Der Umkehrschluss kann jedoch nicht sein, „nichts zu tun“, Es gibt zahlreiche Beispiele für tätigkeitsinduzierte (einseitige Belastungen) und sozial induzierte (z.B. Mobbing/Bossing) Erkrankungen oder zumindest verstärkende Belastungsmomente.
Das Instrument der Mitarbeiterbefragung nutzen
Viele Unternehmen befragen regelmäßig mehr oder weniger ausführlich ihre MitarbeiterInnen. Diese Befragungsdaten oder auch die Ergebnisse eines 360° Feedbacks geben den verantwortlichen Führungskräften wertvolle Hinweise. Wichtig ist, dass der Fragenkatalog nicht nur auf Defizite abzielt, sondern auch auf die Ressourcen und Stärken. Das wird zwar seit langem propagiert – nach unserer Erfahrung sieht die Praxis der Mitarbeiterbefragung nach wie vor ausgesprochen defizitorientiert aus.
So kann durch diverse Befragungs- und Beurteilungsverfahren3 ermittelt werden, welche sozialen, organisatorischen und in Teilen auch persönlichen Puffern (z.B. persönliches Gesundheitsverhalten, Fitnessaktivitäten) die Luft ausgeht und welchen nicht. Darauf kann sich Führung und auch das HR Management konzentrieren. Denn manchmal ist es die Arbeitszeit, die durch wenig Flexibilität für Kurzzeitabwesenheit sorgt, weil sich der Arztbesuch zur Vorsorgeuntersuchung oder beim Orthopäden sonst nur schwer organisieren lässt. Oder das neue Schichtmodell wirkt – mittel- und langfristig - negativer auf die Gesundheit der MitarbeiterInnen als erwartet.
In diesem Fall sind es organisatorische Puffer, die geprüft und gegebenenfalls nachjustiert werden können. Die Sache ist anders gelagert, wenn das Ergebnis einer Motivationsanalyse Urteile wie: „mangelnde Wertschätzung durch meinen Vorgesetzten“ oder „mein Chef hat kein offenes Ohr für mich“ oder auch „wir Teamkollegen stehen nicht füreinander ein“, „es gibt viele Konflikte unter uns MitarbeiterInnen“ zu Tage fördert. Dann ist es das Führungsverhalten, dem durch eine Qualifizierung und Sensibilisierung im Bereich „gesunde Führung“ durchaus begegnet werden kann. Das Gleiche gilt für die Stärken, denn nichts wäre schlimmer, nun bspw. den einzig funktionierenden sozialen und organisatorischen Puffer zu kappen. Ein funktionierendes Team kann schnell durch individuelle – auf Wettbewerb ausgerichtete Zielvereinbarungen - aus dem Tritt gebracht werden und Konflikte begünstigen und verstärken (z.B. wenn das Teamverständnis bzgl. der Aufgaben bislang eher komplementär war).
Auch Einschränkungen im Tätigkeitsspielraum wirken erfahrungsgemäß außerordentlich demotivierend und haben in bestimmten MitarbeiterInnengruppen erhebliches Frustrationspotenzial bis hin zur inneren und tatsächlichen Kündigung. Dann ist es auch eine Frage der sozialen Kompetenz, diese Veränderungen mit wenigen Reibungsverlusten zu gestalten. Dabei darf aber soziale Kompetenz nicht auf pure Mitarbeiterempathie reduziert werden. Schließlich ist es die Führungskraft, die zwischen allen Stühlen sitzt und der auch schon mal und gerade jetzt der Handlungsspielraum schwindet.
Die Führungskraft ist auch Mitarbeiter…
Durch die größere Verantwortung, den größeren Handlungsspielraum und daher in aller Regel einer größeren Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit, bleiben Führungskräfte seltener der Arbeit fern. Führungskräfte haben mehr Möglichkeiten am Arbeitsmarkt und damit mehr Gestaltungsspielraum in und außerhalb des Unternehmens. Aber: Diese Menschen erkranken auch aufgrund ihrer Position zwischen den Fronten. Diese Menschen haben trotz allem Durchhänger, Depressionen und Doppelbelastungen. Insofern müssen auch Fragen wie Selbstorganisation, Selbstmanagement, Potenziale der Führungskräfte Gegenstand von Führungskräftequalifizierungen sein, denn – auch die brechen mal weg oder streichen – egal wie – die Segel.
Da Unternehmen solche Leistungsträger in aller Regel halten sollen und wollen, ist eine Qualifizierung – ein Raum für Weiterentwicklung, damit sich die Führungskräfte vor Ort in ihrer Sandwichrolle zurecht finden – auch eine Möglichkeit, Wertschätzung zu zeigen. Daher ist es wichtig, eine Qualifizierung im Bereich „gesunder Führung“ mit dem Motiv der Fürsorge und Wertschätzung zu kennzeichnen und diese Punkte auch in der Qualifizierung und Trainer- und Beraterauswahl einzubeziehen.
Unsere Prophezeiung lautet daher: Gerade weil die Möglichkeiten am Arbeitsmarkt momentan begrenzt sind, werden mehr Führungskräfte als gewöhnlich sich der unangenehmen Sandwichrolle stellen. Sie werden ihrem Arbeitgeber aber auch dankbar sein, wenn sie in dieser Situation mit dem notwendigen Rüstzeug ausgestattet sind, um ihrer Rolle gerecht zu werden. Insofern ist die Qualifizierung in „gesunder Führung“ eine Maßnahme zur doppelten Mitarbeiterbindung.
Gesunde Führung hat viel damit zu tun, inwieweit die Führungskraft mit sich selbst im Reinen ist und über welches Maß an sozialer und natürlich fachlicher Kompetenz sie verfügt. Daher ist es wichtig ein potenzialgestütztes Trainingsdesign zu wählen, um bei den Führungskräften den individuellen Suchprozess einzuleiten, der in der „Sandwichführungsrollenalltagssituation“ zu kurz kommt, weil die alltägliche Hetze und Zahlenorientierung dies nicht mehr zulässt. Kurzum: Auch Führungskräfte brauchen Verarbeitungsräume und –spielräume und nicht zuletzt: Anerkennung durch Qualifizierung und Perspektive!
Was sind genau die Bestandteile gesunder Führung?
Dies alles bringt uns zu folgenden entscheidenden Punkten, die „gesunde Führung“ und eine Qualifizierung in diesem Bereich ausmachen sollten: Die Ausrichtung zielt sinnvoller Weise sowohl auf eine gesunde Selbstführung als auch auf eine gesunde Mitarbeiterführung. Bei der Selbstführung geht es um die persönliche Gesundheitskompetenz der Führungskräfte im Umgang mit (Dauer-) Belastung – Stichwort: „guter Umgang mit mir selbst“. Im zweiten Teil stehen Information und Erfahrungsaustausch zu den relevanten gesundheitlichen Einflussfaktoren und eine gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung im Mittelpunkt. In diesem Kontext sollten die Qualifizierungsmaßnahmen mit wissenschaftlichen Befunden, Zahlen, Daten und Fakten untermauert und durch Praxisbeispiele, Erfahrungsaustausch und Übungen der notwendige Transfer in die Führungspraxis sichergestellt werden.
Wichtig ist die Aktivierung und Sensibilisierung der Führungskräfte für die eigenen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Gesundheit – ohne Zeigefinger!