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Kolumne
Alles was Recht ist, 26.04.2012
Bedenklicher Trend zur Selbst-Juristerei
„Jus-Yourself“ nicht zu empfehlen“
Die Deutschen sind als ambitionierte Heimwerker und Baumarkt-Kunden Weltmeister, wie wir am 23. April bei Frank Plasberg in der ARD erfahren konnten. Mittlerweile haben sie aber auch Fachgebiete – wie z.B. das Recht - für sich zum Basteln entdeckt. Bereiche, bei welchen das Schild „Vorsicht Starkstrom – unbefugter Zugriff lebensgefährlich“ im übertragenen Sinne mit dem Rat, davon als Laie besser die Finger zu lassen, mehr als angebracht wäre.
Informationen sind im web 2.0 Zeitalter überall verfügbar. Es bedarf auch keiner Hexenkunst, über die Suchmaschinen eine Fülle von Informationen zu rechtsrelevanten Stichworten zu erhalten. Die Zunft der Juristen unterstützt dies durch falsch verstandenes Marketing noch selbstzerstörerisch, in dem sie massenweise Informationen zu Urteilen und rechtlichen Fachthemen ins Netz stellt. Die Folge ist nicht, in einem roten Ozean von Angeboten besser gefunden zu werden, sondern sie verleiten den lange Jahre dazu in der „Geiz-Ist-Geil-Mentalität“ erzogenen Rechtssuchenden, sich seine Antworten auf oft komplexe Fragen selbst zusammen zu googlen und mit copy & paste die eigene Lösungssuppe zu kochen. Verlage aller Couleur fördern diese bedenkliche Entwicklung mit allen möglichen kostengünstigen Datenträgern zu unterschiedlichsten Rechtsthemen und vermitteln den Eindruck, für € 49,90 könnte man z.B. als Handwerksunternehmen Vertragssicherheit kaufen. Der Starkstromhinweis in aller Deutlichkeit fehlt.

Zwei Folgen sind vor diesem Hintergrund vor allem spürbar: Vor allem Privatpersonen wie kleinere Unternehmen versuchen, ihr Rechtswesen erst mal selbst zu gestalten und suchen sie den anwaltlichen Rat, dann oft mit einer dilettantisch laienhaft geprägten Vor(fehl)information, bei der der Aufwand, die Dinge wieder gerade zu rücken, höher ist, als sie gleich richtig zu machen. Auf diese Art Vorarbeit kann verzichtet werden! Da bietet sich dem Juristen manchmal kein anderes Bild als einem Bausachverständigen, der feststellt, dass der Heimwerker ohne jegliches Bewusstsein tragende Teile einer Statik entfernt oder geändert hat.

Was ist das Besondere an einer oft mit Promotion über 10 Jahre dauernden juristischen Ausbildung, wenn man doch die Lösung auf viele rechtliche Fragen auch googlen kann? Es ist nicht das Ansammeln von juristischem Einzelwissen, denn das hat in vielen Rechtsgebieten oft auch kurze Halbwertszeiten und unterliegt laufender Fortentwicklung und Änderung. Auch kann kein Jurist, selbst in fokussierten Fachbereichen alles Einzelwissen parat haben. Die juristische Ausbildung und vor allem Erfahrung in langjähriger Praxis befähigt dazu, komplexe Sachverhalte zu strukturieren, zu vernetzen, zu bewerten und sie mit juristischen sowie komplementären Fachbereichen einer subsumierten Lösung zuzuführen. Die Bewertungskompetenz ist dabei die wichtigste. Und genau diese hat der Laie nicht. Informationen sind noch kein Wissen. Erst durch ihre Bewertung, Strukturierung entsteht es. Und erst die passende Anwendung von Wissen unter Einsatz eines notwendigen Blickes für das Ganze, rationaler Vernunft, wie auch intuitivem Gespür führt zu richtigen Resultaten. Genau diesen stufenweisen Übersetzungsprozess richtig ausgewählter Informationen in Resultate beherrscht der Laie nicht.

Warum wagt er sich dann dennoch an das Jus-Yourself? Darauf gibt es drei Kernantworten: 1. Die Verzögerung zwischen fehlerhafter Rechtsarbeit und einem Schaden ist hoch und Pfusch hat oft erst Jahre später Folgen. Wer an der Starkstromleitung Fehler begeht, bekommt sofort eins gewischt, wer die Blinddarmoperation vor dem Spiegel zu Hause selbst versucht, verblutet u.U. oder infiziert sich lebensgefährlich. Der dilettantische Vertrag aus copy & paste Bausteinen, ohne Kenntnis und Bewertungsmöglichkeit ihrer Bedeutung, kommt meist dann erst zum Tragen, wenn die Lösung eines Konflikts im Vertrag zu suchen sein sollte. 2. Für Dienstleistungen mit zunächst wenig fühl- und messbarem Nutzen zahlt man ungern. Viele  geben lieber das Geld für emotionell besser besetzte Leistungen aus und sparen sich das Geld für den Fachmann. Schließlich könnte der Pfusch ja ohne Folgen bleiben und dann wäre es ja töricht, unnötigerweise investiert zu haben. 3. Die Verführung der allseits vermeintlich billig oder gratis verfügbaren Informationen im Netz oder auf Datenträgern suggeriert eine für jedermann zugängliche und erschwingliche plug & play Rechtssicherheit.

Bei aller Kritik am Verhalten mancher Rechtssuchender, darf die Rüge für die eigene Zunft nicht ausbleiben. Schließlich verteilen wir freiwillig die Skalpelle zur Selbstverstümmelung und wundern uns danach, wenn wir immer mehr Zyklopen begegnen.

Es wird Zeit für einen (wieder) professionelleren und verantwortungsvolleren Umgang mit dem komplexen Recht: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie besser den Anwalt Ihres Vertrauens und wagen sich nicht auf Spielfelder, die Sie nicht wirklich beherrschen…
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Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
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