Die Galerie für Kulturkommunikation legt mit Art Spotting Band 1 den ersten Band der Begleitkataloge zur gleichnamigen Installation vor.
(PM) Berlin, 16.07.2013 - Art Spotting als Trendsport – zum neuen Buch von Rainer Strzolka und Esther Mitterbauer
Art spotting ist einer art trendsport geworden. Jede sich bietetende Gelegenheit wird genutzt, Kunst zu betrachten, wobei es weitgehend egal ist, um welche Art Kunst es sich dabei handelt. Was zählt, ist nicht das Kunstwerk, sondern der Eventcharakter des Kunstwerkes. Man möchte weniger die Kunst sehen, als bei ihrer Betrachtung gesehen zu werden.
Der erste Teil einer Fotodokumentation von Rainer Strzolka und Esther Mitterbauer wirft einen Blick hinter die Kulissen dieser seltsamen Subkultur. So, wie man eine Münze in einen Spielautomaten wirft, und sich vom Ergebnis überraschen lässt, so schweift der Artspotter zu zufällig aufgefundenen Kunstorten, steht mit einer Miene vor Werbeplakaten wie vor dem David des Leonardo Da Vinci, den er mit Michaelangelo verwechselt. Seine häufigste Redewendung ist jene von der Entrückung durch die Kunst, der der moderne Mensch bedarf.
Während der Artspotter seinen Café latte mit abgewinkeltem kleinen Finger trinkt, ist er sich nicht zu schade, sein Gegenüber mit spitzfindigen Analysen zu bilden: „Auf semipermeablen Distanzen des Dabeiseins führt eine gegebene Kulturarbeit die Konvention aus und rhythmisiert dabei irgendeine performative Entfremdung, wobei die Neuanordnungen inklusiv sind und die Formensprachen damit präzise taktieren. Diese Typologie spezifiziert in vagen, sublimen oder transferablen Entelechien der Kunst und bezieht sich überdies semipermeabel und kompatibel auf sich selbst.“
Anschließend eilt er mit gehetztem Blick – es gibt noch mehr Kunst zu betrachten – durch dunkle Gänge und schaut sich ehrfurchtsvoll schwarze Leinwände an, die er für bedeutsam hält, weil sie auf jeder Nachwuchskünstler-Vernisage zu sehen sind. Gelegentlich verwechselt er die Feuertreppe einer Hinterhofgalerie in Dudenbostel mit einem Kunstwerk und verweigert die Besteigung auch im Notfall. Seine Körperhaltung ist steht angespannt, er spürt die Blicke anderer Artspotter im Rücken, wenn er sich auf einem Stuhl niederlässt, der kein Stuhl ist, sondern nur so aussieht und tatsächlich ein hoch versichertes Kunstwerk ist. Leere Räume mit in die Ecken geknüllter Baumwolle liebt er, ebenso blau lackierte WC-Türen. Gerne taucht der Artspotter paarweise auf, vorzugsweise in der Gesellschaft einer Sozialpädagogin, die Kunstprojekte mit kriminellen Jugendlichen macht, indem sie Gemüse mit Sekundenkleber zu einem Environment fügt. Der Gang des Artspotters ist bisweilen eine Spur zu schnell. Der Eindruck lässt sich nicht vermeiden, dass er aus der Kunst hinaus eilen möchte, ohne dabei gesehen zu werden. Obwohl fotografieren verboten ist, fotografiert er gerne mit seinem Telefon. Er fotografiert einfach alles, er ist der perfekte Liveblogger und teilt seinen Kunstgenuss mit seinen Facebook-Freunden, von denen er tausende hat, die seine verwackelten Bilder ebenfalls für Kunst halten. In völlig leeren Ausstellungsräumen erkennt der Artspotter seine besondere Expertise, immerhin ist er der erste, der die hier gezeigte völlig revolutionäre Kunstrichtung zu würdigen weiß.
Der Bildband von Rainer Strzolka und Esther Mitterbauer zeigt einen Blick in diese Welt.
Rainer Strzolka
Esther Mitterbauer
Art Spotting. 114 Photographien. Hannover: Verlag für Ethnologie 2013. 100 Seiten. – ISBN 978-3-86421-954-2
Bezug nur über den Buchhandel. Verkaufspreis 25 Euro